Washington. Rund ein Jahr nach der Enthüllung des riesigen US-Spionage-Apparates hat Whistleblower Edward Snowden ein mehrstündiges Interview gegeben. Dabei trat er Behauptungen entgegen, er sei ein kleines Licht gewesen. Als Spion sei er für die Arbeit bei gleich mehreren Geheimdiensten ausgebildet worden.
Ein Jahr nach dem ersten Bericht über maßlose Überwachungs-Aktivitäten des Geheimdienstes NSA weiß die US-Regierung nach eigenen Angaben noch immer nicht verlässlich, welche Daten Edward Snowden abgezweigt und Journalisten zur Verfügung gestellt hat. Das erste Interview, dass der 30 Jahre alte ehemalige Computer-Experte der NSA am Mittwoch im russischen Exil einem US-Fernsehsender gab, war darum für die Geheimdienst-Community in und außerhalb Washingtons eine Pflichtveranstaltung.
In einem mehrstündigen Gespräch, dass Snowden mit NBC-Chef-Moderator Brian Williams im Kempinski-Hotel in Moskau führte, trat der meistgesuchte Flüchtling Amerikas vehement dem von Regierungskreisen beförderten Eindruck entgegen, er sei in der NSA nur ein kleines Licht gewesen. Oder wie Präsident Obama es einmal geringschätzig formulierte: „ein 29 Jahre alter Hacker“.
Snowden erläuterte detailliert, dass er „als Spion ausgebildet“ worden sei, über technisches Spezialwissen in den Netzwerken der US-Geheimdienste verfüge und für mehrere Sicherheits-Agenturen (CIA, NSA etc.) unter falschem Namen im Ausland gearbeitet habe. „Ich war kein kleiner Mitarbeiter, alles andere ist irreführend.“
Lückenlose Überwachung von Handy-Besitzern
Dazu passt, was Snowden dem „Stern“ sagte: „Die Trainingsakademie für Gegenspionage des US-Verteidigungsministeriums etwa ließ mich eigens einfliegen, um ausgewiesene Überwachungsexperten weiter zu schulen.“
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Der Hamburger Illustrierten berichtete Snowden ausführlich von der unbegrenzten Durchdringung, die der NSA-Überwachungs-Apparat im Alltag besitze. Allein durch die Bewegungsprofile von Mobiltelefon-Nutzern, die über Jahre gespeichert werden, „weiß ich nicht nur, wann Sie ins Bett gegangen sind - ich weiß auch, mit wem“.
Dass die Bundesregierung, just dokumentiert durch den umstrittene Ermittlungsverzicht von Generalbundesanwalt Range, eine umfassende Untersuchung der NSA-Praktiken in Deutschland ablehnt, erklärt sich Snowden so: „Die deutschen (Geheim)Dienste liegen mit den Amerikanern in einem Bett.“ Darum würden offenbar „weiterhin Fakten verheimlicht, die in der Öffentlichkeit Empörung hervorrufen würden“.
Snowden würde in die USA zurückkehren – wenn er ein faires Verfahren bekäme
Im Gespräch mit dem Fernsehsender NBC ließ Snowden mehrfach durchblicken, dass er mit sich im Reinen und der Überzeugung ist, richtig gehandelt zu haben. Er streitet ab, dass durch die durch ihn bewirkten Veröffentlichungen Menschen zu Schaden gekommen seien, wie die US-Regierung nicht müde wird zu betonen. Zaghaft deutete Snowden seine Bereitschaft an, aus dem Zwangs-Exil in Moskau nach Amerika zurückzukehren, wenn ihm Garantien für ein faires Gerichtsverfahren gegeben würden. Die US-Regierung sucht Snowden offiziell mit internationalem Haftbefehl wegen Hochverrats, Spionage und Diebstahls. In US-Umfragen wird Snowden mehrheitlich als Verräter bezeichnet. Juristen gehen nach Medienberichten „unter normalen Umständen von einer jahrzehntelangen Haftstrafe“ aus. Es sei denn, die Obama-Regierung ließe sich auf einen Vergleich mit milder Strafe ein.
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Brian Williams, einer der renommiertesten TV-Journalisten in den USA, beschrieb seinen Eindruck von Snowden hinterher so: „herausragend schlau“. Eine Einschätzung, die hinter vorgehaltener Hand in Sicherheitskreisen geteilt wird. Dort geht man davon aus, dass Snowden (ohne gravierende Spuren hinterlassen zu haben) rund 1,7 Millionen Datensätze kopiert hat. „Für die Glaubwürdigkeit der NSA, ihre gesammelten Erkenntnisse im Sinne des amerikanischen Volkes sicher aufzubewahren, spricht das natürlich in keiner Weise“, sagte ein Computer-Experte der George Washington Universität im Gespräch mit dieser Zeitung.
Greenwald will Liste mit überwachten US-Bürgern vorlegen
Snowdens wichtigster "Übersetzer", der Journalist Glenn Greenwald, kündigte bei der Vorstellung seines neuen Buches in Washington die Veröffentlichung einer Liste "mit konkreten Opfern der NSA" an. Dabei handele es sich um Amerikaner, deren Leben bis in die intimste Privatsphäre überwacht wurde, obwohl gegen sie zu keiner Zeit ein substanzieller Terror-Verdacht vorgelegen habe. Darunter seien Personen, deren politische Haltung den staatlichen Behörden offenbar missfiel.
In einzelnen Fällen soll die NSA belastendes Material gesammelt haben (Besuch von pornografischen Seiten im Internet etc.), um die Betroffenen öffentlich bloß zu stellen. Noch vor kurzem hatte der oberste Geheimdienst-Koordinator, James Clapper, abgestritten, dass die NSA überhaupt amerikanische Staatsbürger überwacht. Wenig später stellte sich das als Lüge heraus.