Düsseldorf. Die erste schwarz-grüne Landesregierung in NRW würde einen weiten Weg der einstigen Ökopaxe vollenden. Die neue Bürgerlichkeit?
Eine schwarz-grüne Koalition zu bilden sei „gar nicht so schwer, weil es keine so großen, unüberwindbaren Dissense gibt“, urteilte dieser Tage Armin Laschet in einem Podcast der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Obwohl der ehemalige NRW-Ministerpräsident in seinem unglücklichen Kanzlerwahlkampf 2021 als Antipode zur heutigen grünen Außenministerin Annalena Baerbock ausgeleuchtet wurde, gehört Laschet seit der Bonner „Pizza-Connection“ der 90er Jahre zu den prominentesten Grünen-Verstehern in der Union. Der liberale Rheinländer ist mit Spitzenvertretern der Ökopartei bis heute freundschaftlich verbandelt und warb schon für eine bündnispolitische Öffnung, als das in der CDU noch wenig karrierefördernd war. Laschet glaubt: „In vielem liegt uns die FDP näher, aber die großen Themen, die jetzt anstehen, werden auch mit Schwarz-Grün funktionieren.“
Der Politologe Karl-Rudolf Korte sieht die Zeit ebenfalls reif für eine schwarz-grüne Koalition in NRW. „Das ist die neue Bürgerlichkeit in der Mitte“, sagte der Professor der Universität Duisburg-Essen der dpa. Die Grünen hätten sich von der Verbots- zur Macherpartei gewandelt, die Schwarzen wiederum stärker auf eine „enkelfähige Politik“ besonnen.
Die schwarz-grüne Annäherung begann im Lokalen
Wer sich die schwarz-grünen Annäherungsversuche in Nordrhein-Westfalen über die Jahrzehnte ansieht, bemerkt jedoch einen sonderbaren Prozess der zwei Geschwindigkeiten. In Mülheim wurde als erster deutscher Großstadt bereits 1994 eine Koalition aus CDU und Grünen gebildet. Beteiligt war Grünen-Mitbegründer Wilhelm Knabe, der Anfang 2021 im Alter von 97 Jahren verstarb. Kurz vor seinem Tod hat er im „Deutschlandfunk“ beschrieben, wie man damals im Schatten der lange allmächtigen Sozialdemokraten lokal zueinander fand: „Die SPD war noch eine Beton- und Stahl- und Eisen-SPD“, die sich stark an den Gewerkschaften ausgerichtet habe. Belange des Umweltschutzes, die den gelernten Forstwirt Knabe zu den NRW-Grünen gebracht hatten, besaßen damals kaum eine Lobby.
Dem Mülheimer Beispiel folgten seither zahlreiche NRW-Stadträte. Selbst im schwarzen Paderborn arbeiten heute CDU und Grüne vertrauensvoll zusammen. Auf Landesebene aber ist das, was Ministerpräsident Hendrik Wüst und Spitzenkandidatin Mona Neubaur beschreiten wollen, noch immer Neuland. In kaum einem Bundesland haben sich die in Schwarz-Gelb und Rot-Grün unterteilten Lager so lange gehalten wie hier.
Rau hatte im lieber ein Haus im Grünen als umgekehrt
Das hängt wohl damit zusammen, dass sich die Grünen in NRW über Jahre in einer doppelten Zwangslage befanden. Seit Gründung des Landesverbandes 1979 in Bonn aus Strömungen der Öko-, Friedens- und Frauenbewegung durch Persönlichkeiten wie Knabe, Michael Vesper, Petra Kelly oder Gert Bastian wurden die Grünen von einer mit absoluter Mehrheit regierenden, eher konservativen SPD als Störenfried wahrgenommen.
Der Einzug in den Landtag gelang erst 1990. Ministerpräsident Johannes Rau („Lieber ein Haus im Grünen als die Grünen im Haus“) sperrte sich gegen eine Koalition, die aber 1995 unausweichlich wurde. Ein Dokument der Zeitgeschichte ist das Foto von der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages: Rau im dunklen Anzug, die legeren Grünen-Parteichefs Barbara Steffens und Reiner Priggen mit ihren Kindern auf dem Schoß – kritisch beäugt von Öko-Ikone Bärbel Höhn.
Auseinandersetzungen um Regionalflughäfen, Metrorapid oder das Braunkohlegebiet Garzweiler II prägten über Jahre das Bild einer rot-grünen „Streitkoalition“. Doch eine Alternative war nicht in Sicht: Die CDU im Landtag war den grünen „Bürgerschrecks“ ja kulturell noch fremder als die Kohle- und Eisen-SPD.
Rüttgers ging schon einmal auf schwarz-grüne Tuchfühlung
2010 bemühte sich CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers schon einmal, Brücken zu bauen und entkrampfte das Verhältnis zu Priggen und Grünen-Spitzenfrau Sylvia Löhrmann. Doch das Wahlergebnis führte erneut zur Rot-Grün. SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gelang daraufhin das Kunststück, ihre Partei mit den Gewerkschaften zu versöhnen und zugleich die Grünen pfleglicher zu behandeln als ihre Vorgänger Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. Kraft und Löhrmann wurden gar als politische Zwillinge „Hanni und Nanni“ beschrieben, die gemeinsam durch dick und dünn gehen.
Dass „echte Liebe“ in Koalitionsdingen immer nur eine Frage von taktischen Opportunitäten ist, zeigen aktuell die Wahlkampf-Treueschwüre von Wüst gegenüber der FDP. Seit die Liberalen am 15. Mai ins Bodenlose gestürzt sind, kann es gar nicht genug schwarz-grün Händeschüttel-Fotos mit Neubaur geben.
Wie schwierig die Gratwanderung für die Grünen bleibt, hat der Co-Parteivorsitzende Felix Banaszak schon wenige Tage vor der Landtagswahl auf den Punkt gebracht: „Es gibt immer dieses Zerrbild von den Grünen: Entweder sind wir die, die besonders radikal sind oder wir sind die, die ihr Wahlprogramm schon verraten haben, bevor die Wahl überhaupt stattgefunden hat.“