Düsseldorf. Der Ministerpräsident hat lange mit der maximalen Antwort auf den Corona-Ausbruch bei Tönnies gezögert. Es ist typisch für seinen Politikstil.
Armin Laschet ist zehn Minuten zu spät, streicht noch einmal den nachtblauen Anzug glatt und richtet die rote Krawatte. Auf seiner Stirn bildet sich eine vertikale Furche, die man bei dem freundlichen Aachener sonst eher selten sieht. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident muss an diesem Dienstagmorgen in der Düsseldorfer Staatskanzlei etwas verkünden, was er nie wollte. Was auch gar nicht zu ihm und seinem Politik-Verständnis passt. Was aber unausweichlich geworden ist.
Die Landesregierung werde nach den massenhaften Corona-Infektionen bei der Firma Tönnies „für den gesamten Kreis Gütersloh einen Lockdown verfügen“, sagt Laschet. Hallenbäder, Bars und Fitnessstudios schließen, Versammlungen dürfen nicht mehr stattfinden, Kontaktbeschränkungen werden wieder verschärft. Ostwestfalen im Ausnahmezustand.
„Wir gehen einen Schritt weiter, weil Vorsicht geboten ist“
Laschet bemüht sich, die drastischen Maßnahmen als reine Prävention darzustellen. Erstmals werde in Deutschland ein gesamter Kreis auf den Corona-Stand vom März zurückgefahren, obwohl das Infektionsgeschehen „klar lokalisierbar“ sei, sagt er. In solchen Fällen sehe eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern eigentlich gar keinen regionalen Lockdown vor. Das Virus grassiere ja vornehmlich unter rund 1500 Tönnies-Mitarbeitern, die längst unter Quarantäne stünden. Eingezäunt und bewacht von Hundertschaften der Polizei. Als „Superspreader“ für die Infektion hätten Experten überdies einen lauten, kalten Schweine-Zerlegebetrieb von Experten identifiziert, der still steht.
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„Wir gehen trotzdem einen Schritt weiter, weil Vorsicht geboten sind“, sagt Laschet. Er betont das eine Spur zu deutlich. Jeder weiß: Er ist längst ein Getriebener. Seitdem am vergangenen Donnerstag erstmals Hunderte von Infektionen bei Tönnies gemeldet wurden, ist der Ruf nach einem regionalen Lockdown fast stündlich stärker angeschwollen. Laschet stand als Zauderer da, der es dabei belassen wollte, Kitas und Schulen für 50.000 Kinder dicht zu machen, mit Hilfe der Bundeswehr Massentests durchzuführen und 7000 Tönnies-Mitarbeiter vorsorglich unter Quarantäne zu stellen.
Wenn kantige Entschlossenheit gefragt ist, wirkt einer wie er unentschieden
Proteste gegen Tönnies
„Der Virologe Drosten hat diese Maßnahmen ausdrücklich gewürdigt“, sagt Laschet am Dienstag etwas trotzig. Der Druck, noch mehr Entschlossenheit zu demonstrieren, wurde größer und größer. Täglich konnte der NRW-Ministerpräsident irgendwo lesen, er scheue den neuerlichen Lockdown bloß, weil er sich in der bisherigen Pandemie-Bekämpfung eher einem Lockerungskurs verschrieben habe. Er wolle nachträglich nicht seinem unausgesprochenen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur der Union, CSU-Chef Markus Söder, Recht geben müssen. Der hatte von vornherein eine viel striktere Eindämmungspolitik vertreten.
Wer Laschet ein bisschen näher kennt, weiß, dass es ganz so simpel nicht ist. In dieser Corona-Krise bekommt Deutschland vielmehr im Zeitraffer vorgeführt, wie der Mann tickt, der im Dezember zum neuen CDU-Bundesvorsitzenden gewählt werden will. Laschet pflegt einen eher tastenden Politikstil, will moderieren, zusammenbinden und nie die „Verhältnismäßigkeit“ aus den Augen verlieren. Als im März alle aus Angst vor „Bildern wie in Bergamo“ den maximalen Stillstand des öffentlichen Lebens forderten, fragte Laschet als Erster nach wirtschaftlichen und sozialen Folgeschäden. Er stemmte sich dagegen, mit einem Federstrich Grundrechte außer Kraft zu setzen. Da ist er liberal und wertebewusst. Alles Autoritäre geht ihm ab.
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Wenn in Krisen kantige Entschlossenheit gefragt ist, wirkt einer wie er deshalb gefährlich unentschieden. Laschet ist zudem emotionaler Rheinländer, der nie diese beruhigende, maschinenhafte Präzision einer Angela Merkel verströmen kann. Wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, gehen ihm vor laufender Kamera die Gäule durch. Dann lamentiert er über Virologen und ihre fehlerhaften Analysen, über Kommunen und ihre schlechte Vorbereitung bei der Wiedereröffnung der Schulen oder rumänische Schlachter, die das Corona-Virus nach Ostwestfalen eingeschleppt hätten. Immer wieder passiert es ihm, dass er einfach drauflos redet.
Auch nach vielen Jahren in der Politik hat er keinen Sinn für die B-Note
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„Ich bin wie ich bin“, sagt Laschet häufiger schicksalsergeben, wenn ihm Unprofessionalität vorgehalten wird. Für jemanden seiner Gewichtsklasse schert er sich erstaunlich wenig um die in der Politik so wichtige B-Note. Während CSU-Chef Söder verstanden hat, dass sich Regierungshandeln immer auch in Bildern und Botschaften dem Bürger erschließen muss, widersetzt sich Laschet solchen politischen Opportunitäten. Schon am vergangenen Donnerstag war klar, dass der Lockdown im Kreis Gütersloh unvermeidlich werden würde. Weil solche Entwicklungen einfach nach Konsequenzen schreien. Laschet zögerte trotzdem.
Er beherrscht solche Inszenierungen nicht. Sein Motto: Lieber noch mal drüber nachdenken und weniger drastische Alternativen prüfen. Obendrein vermasselt Laschet regelmäßig sein Krisenmanager-Bild, indem er mal eine Maske falsch aufsetzt oder sich am Rednerpult versehentlich die Brille von der Nase schlägt. „Er ist dafür echt und hat einen klaren Kompass“, sagt einer, der Laschet lange kennt. Kann so einer Krise und Kanzler? Spürbar verunsichert wirkt Laschet trotzt des anhaltenden Trommelfeuers der Kritik jedenfalls nicht. Der 59-Jährige hat im Laufe seiner ungewöhnlichen Karriere gelernt, mit Häme und Kritik umzugehen.