Essen. Fachkräftemangel und Digitalisierung: Die junge Generation erlebt eine massive Veränderung der Arbeitswelt. Was ihr Hoffnung macht – und Angst.
Wer die Schule verlässt, muss sich auf einem Arbeitsmarkt zurechtfinden, in dem wenig so ist, wie es mal war. Fachkräftemangel, Digitalisierung und die Renteneintritte der „Boomer-Generation“ sorgen für einen einschneidenden Wandel und versprechen Chancen - aber auch Risiken. Wie schaut die junge Generation auf den Arbeitsmarkt der Zukunft? Vier Protokolle zwischen Macht und Ohnmacht.
Benjamin Klein (23, E-Commerce-Manager):
Nach meinem Sportmanagement-Studium wurde ich bei einem internationalen Bekleidungsunternehmen in der Nähe von Wiesbaden übernommen. Für mich war das ein Glücksgriff. Ich arbeite jetzt im E-Commerce und kümmere mich Kauf-, Verkaufs sowie Abwicklungsvorgänge im Internet. 2021 bin ich zu einem Tech-Unternehmen nach Essen gewechselt, da ich näher an meiner Heimat und meinen Freunden sein wollte, das war mir sehr wichtig. Ein dreiviertel Jahr später bekam ich von meiner alten Firma das Angebot, zurückzukehren – unter der Voraussetzung, dass ich komplett flexibel von zuhause aus arbeiten könne. Zusätzlich wurden mir tolle Perspektiven bei dem Gehalt und für die Karriere angeboten.
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Ich wechsle also zurück, kann aber im Ruhrgebiet bleiben. Das ist sehr schön für mich. In meinem Bereich muss ich mir erst einmal keine Sorgen machen, einen Job zu finden. E-Commerce wird sogar weiter wachsen. Und dass ich schon jetzt nur im Homeoffice arbeite, macht mir persönlich Hoffnung für die Zukunft. Homeoffice ist eine große Chance für Arbeitnehmer und Unternehmen und wird in 15 Jahren bestimmt Standard in digitalen Berufen sein – auch wenn ich es vermisse, mit meinen Kollegen in die Mittagspause zu gehen.
Noah Westphal* (24, studiert Niederlande-Deutschland-Studien):
In meinem Studiengang vergleichen wir zum Beispiel die Wirtschaft, Politik und Medien in den Niederlanden und Deutschland. Teil des Studiums ist ein Pflichtpraktikum. Ich bewerbe mich seit einem halben Jahr, beispielsweise bei Politikerinnen und Politikern oder Medienanstalten, habe bislang aber nur Absagen oder keine Antworten erhalten. Das ist demotivierend und fühlt sich nicht gut an, das gibt mir kein gutes Gefühl für die Zukunft. Sowieso will ich aber nach zunächst an der Uni bleiben und einen Master machen – vielleicht in Politikwissenschaften. Ich könnte mir danach auch eine wissenschaftliche Laufbahn vorstellen. Denn ich will später unbedingt einen Beruf haben, der mich ausfüllt. Ich muss immerhin 40 Jahre arbeiten. Bei Jobs geht es mir um mehr, als nur darum, Geld zu verdienen. Mir sind Aspekte wie Soziales und Nachhaltigkeit wichtig.
Arbeitskaft gesucht! Weitere Teile der Serie:
- Wo die Nachwuchssorgen am größten sind.
- Wie der Fachkräftemangel die Arbeitswelt verändern könnte.
- Aus Syrien nach Essen: Warum Lina Haj Omar nie wieder weg möchte.
- Was hohe Hürden für Arbeitsmigranten sind.
Ich stelle mir daher natürlich Fragen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickeln wird. Bestimmt werden weiter neue Jobs entstehen, die es jetzt noch gar nicht gibt. Das ist eine Chance für meine Generation, allerdings frage ich mich auch, wie sich beispielsweise die Klimakrise auf unser Leben auswirken wird. Daher mache ich mir auch Sorgen und schaue nicht wirklich optimistisch in die Zukunft. Ich merke ja schon, wie schwierig es ist, überhaupt einen Praktikumsplatz zu bekommen, der mich interessiert.
Christopher Hünies (24 Jahre alt, Elektronikermeister für Energie- und Gebäudetechnik):
Mindestens für die nächsten zehn Jahren habe ich keine Angst um meinen Beruf. Ich habe eine Ausbildung absolviert und später den Meistertitel bei der Handwerkskammer Dortmund gemacht. Nun bin ich angestellter Meister im elterlichen Betrieb – schon mein Großvater war Elektriker, mein Vater ist es auch. Mein Beruf wandelt sich stetig. Man lernt nicht etwas, das die nächsten 20 Jahre so bleibt und es ist auch nicht so, dass der Handwerker zu seinem Kunden rausfährt, danach nach Hause kommt und Feierabend hat. Den Wandel finde ich spannend, er macht mir Spaß.
Schon in meiner Ausbildung wurde gesagt, dass der Fachkräftemangel spürbar ist – er ist nun da. Es gibt weniger Nachwuchs und wir sind froh, pro Jahr mehrere Auszubildene einstellen zu können. Daher merke ich auch, dass ich in einer guten Position bin. Ich bin davon überzeugt, dass mein Beruf eine starke Zukunft hat. Ohne einen Elektriker läuft nicht viel. Solange kein Roboter einen Seitenschneider bedienen kann, bin ich sicher. Trotzdem will ich mich immer weiterentwickeln. Später möchte ich gerne noch den Betriebswirt bei der Handwerkskammer machen. Mein Ziel ist, nie stehenzubleiben und mich immer fortzubilden.
Julia Rogalski (19, Abiturientin an der Gesamtschule Nord Essen):
Ich habe schon früh angefangen, Bewerbungen zu schreiben, da ich jemand bin, der sich früh vorbereitet. Ich wusste damals nicht viel über die unterschiedlichen Berufe und bekam Zukunftsängste. Schüler haben eine große Auswahl zwischen verschiedenen Berufen, aber kaum die Möglichkeit, die verschiedenen Berufsbilder kennenzulernen. Meine Schule macht mit beim NRW-Talentscouting. Mein Talentscout hat mir sehr weitergeholfen, ohne ihn wäre ich nicht so weit gekommen. Ich habe mich schließlich bei der Polizei beworben, dort wollte ich schon immer hin. Das Auswahlverfahren habe ich zuletzt bestanden. Ich habe aber noch den Plan B, bei der Stadt Gelsenkirchen anzufangen.
Mir ist es wirklich wichtig, einen sicheren Beruf zu haben. Und deshalb habe ich mich auch gegen eine Selbstständigkeit entschieden. Durch Corona habe ich gesehen, wie zerbrechlich Jobs sein können. Nun bin ich von meinen Freundinnen die einzige, die bereits einen Beruf in Aussicht hat. Viele in meinem Umfeld machen sich Druck, werden ängstlich und bekommen Selbstzweifel bei dem Gedanken an die Berufswahl und sind komplett auf sich allein gestellt. Die Schule werde ich ab dem Sommer bestimmt vermissen, aber ich freue mich schon darauf, etwas Neues zu erleben.
*Name geändert.