Düsseldorf. CDU und Grüne haben ihre Sondierungen abgeschlossen und ein zwölfseitiges Papier vorgelegt. Was drin steht und was nicht - die Analyse.

Nach viertägigen Sondierungen haben sich CDU und Grüne am späten Freitagabend im Grundsatz auf die Bildung der ersten schwarz-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen verständigt. Auf Basis eines zwölfseitigen Beschlusspapiers wollen Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur ihren Parteigremien am Sonntag empfehlen, den Weg für formale Koalitionsverhandlungen freizumachen.

„Ein neues Bündnis ist eine Chance für Nordrhein-Westfalen. Ich danke den Grünen für konstruktive, ernsthafte und den Herausforderungen angemessene Beratungen“, lobte Wüst die neuen Partner in einer Mitteilung. Neubaur sprach von einer „belastbaren Grundlage“.

Die Zustimmung des erweiterten CDU-Landesvorstands gilt als sicher, schon weil es keine realistische Alternative gibt, um Wahlsieger Wüst in der Staatskanzlei zu halten. Neubaur will derweil bei einem Kleinen Parteitag in Essen für das schwarz-grüne Projekt werben. Die Basis gilt als skeptisch und liebäugelt in Teilen noch immer mit der rechnerisch ebenfalls möglichen Ampel-Koalition, die jedoch nach deutlichen Stimmenverlusten von SPD und FDP bei der Landtagswahl vor zwei Wochen ein Legitimationsproblem hätte. Beim zwölfseitigen Sondierungspapier werden die Grünen vor allem auf konkrete Vereinbarungen zwischen der üblichen Politprosa schauen.

Hier haben sich die Grünen durchgesetzt:

In den kommenden fünf Jahren sollen mindestens 1000 zusätzliche Windkraftanlagen entstehen. Die umstrittene pauschale Mindestabstandsregelung von 1000 Metern zur Wohnbebauung wird wieder abgeschafft. Der vorgezogene Kohleausstieg 2030 wird festgeschrieben. Mehr noch: „Mit einer zeitnahen neuen Leitentscheidung sorgen wir für Klarheit und Sicherheit für die Menschen im Rheinischen Revier. Alle Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen bleiben.“

Beim Straßenbau wird umgesteuert: Die Sanierung hat künftig Vorrang vor dem Neubau. Der Landesstraßenbedarfsplan wird nach den Kriterien Bedarf, Finanzierung und Klimaschutz neu aufgestellt und auch über den Fortgang laufender Projekte wird noch einmal geredet. Bis 2027 sollen überdies 1000 Kilometer neue Radwege gebaut werden.

Noch in diesem Jahr soll endlich mit dem Bund eine Lösung für den Abbau der kommunalen Altschulden vereinbart werden, was die CDU bislang verschleppt hatte. „Sollte der Bund seiner Verantwortung in diesem Bereich nicht nachkommen, bekennen wir uns dazu, im kommenden Jahr selbst eine Lösung herbeizuführen“, heißt es in dem Papier.

Das aktive Wahlrecht bei Landtagswahlen wird auf 16 Jahre abgesenkt. Beim Landtag wird ein Lobbyregister eingerichtet, damit Einflüsse von Unternehmen auf Gesetze besser sichtbar werden – ein Herzensanliegen der Grünen nach den Masken-Skandalen in der Union.

Hier hat sich die CDU durchgesetzt:

Bei der Inneren Sicherheit muss CDU-Innenminister Herbert Reul praktisch keine Abstriche machen. Die von den Grünen geforderte Abschaffung von Elektroschockgeräte (Taser) bei der Polizei ist vom Tisch. Das Polizeigesetz wird nicht noch einmal aufgeschnürt. Selbst das bei den Grünen umstrittene Versammlungsgesetz will man bloß „unabhängig und wissenschaftlich evaluieren“. Es bleibt offenbar bei der „Null Toleranz“-Linie und der robusten Gangart gegenüber Clans. Einziges Zugeständnis an die Grünen: Der Polizeibeauftragte wird künftig beim Landtag angesiedelt und damit unabhängiger arbeiten.

Dem Flächenverbrauch wird längst kein so strenger Riegel vorgeschoben, wie es die Grünen gerne hätten. Schwammig ist das Ziel formuliert, den Flächenverbrauch „zeitnah“ auf fünf Hektar pro Tag zu reduzieren. Weiträumige Natur- und Wildnisgebiete? Fehlanzeige. Auch die umstrittene Ausweitung des Kiesabbaus am Niederrhein wird keineswegs so ultimativ beendet, wie sich das Umweltschützer gewünscht hätten. Im Sondierungspapier wird lediglich ein „Rohstoffbarometer“ angekündigt, der den Verbrauch von Kiesen und Sanden transparent machen und „auf den notwendigen Bedarf“ zurückführen soll.

Vom Grünen-Ziel, den Anteil des Öko-Landbaus bis 2030 von sieben auf 30 Prozent steigern, ist keine Rede mehr. Die Reduktion von chemischen Pflanzenschutzmitteln und die Steigerung des Tierwohls werden nur noch als „zentrale Aspekte“ genannt.

Der Photovoltaik-Ausbau soll zwar forciert und überall ermöglicht werden, doch die von den Grünen mal geforderte Solarpflicht „für alle geeigneten Dächer“ findet sich in dieser Konsequenz nicht im Sondierungspapier.

Hier gibt es Formelkompromisse:

Die seit Jahren diskutierte gleiche Bezahlung von Lehrkräften in den Sekundarstufen I und II, die Ministerpräsident Wüst noch im TV-Duell für die ersten 100 Tage der neuen Wahlperiode angekündigt hatte, kommt wohl doch nicht so plötzlich. Mit einem „verbindlichen Stufenplan“ soll die Eingangsbesoldung für alle neuen Lehrkräfte auf A13 angehoben werden. Bestandslehrkräften soll „der Aufstieg ermöglicht“ werden.

Das von der Grünen geforderte landesweiten Schnellbusnetz soll „möglichst noch in dieser Wahlperiode“ kommen – da ist Papier erfahrungsgemäß sehr geduldig. "Möglichst" ist im Polit-Sprech die kleine Schwester von "irgendwann vielleicht".

Die im Wahlkampf angekündigte Abschaffung von Kita-Gebühren wird so konkret auch nicht mehr versprochen: „Die frühkindliche Bildung wollen wir stärken, indem wir in die Qualität investieren, den Fachkräftemangel bekämpfen und eine Entlastung mit Blick auf die Beiträge umsetzen“, heißt es eher wolkig.

Eine Bestandsgarantie für alle Krankenhäuser wird nicht ausgesprochen, wohl aber eine Zusage gemacht: „Wir werden in den kommenden fünf Jahren erhebliche finanzielle Anstrengungen unternehmen, damit in allen Krankenhäusern die notwendigen Investitionen in Ausstattung und Personal erfolgen können.“

Die Grünen wollten eigentlich, dass künftig mindestens 30 Prozent aller neuen Wohnungen öffentlich gefördert werden und die Mietpreisbremse deutlich ausgeweitet wird. Davon ist nur ein Allgemeinplatz geblieben: „Wir stehen für einen effektiveren Mieterschutz und werden die Mieterschutzverordnung erneuern. Wir werden uns für mehr preisgedämpften Wohnraum in Ballungsstädten einsetzen.“