Düsseldorf. Arbeitnehmer sind zunehmend verunsichert, Kliniken fürchten den Verlust von Fachkräften, Gesundheitsämter fürchten den Aufwand.
Die Kritik an der geplanten Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen gewinnt in NRW an Schärfe. Sechs Wochen vor dem Start befürchten Arbeitnehmer und Arbeitgeber Unfrieden in den Betrieben, und die Gesundheitsämter fürchten den Kontrollaufwand, der auf sie zukommt. Die Zeit wird knapp. Denn ungeimpfte Beschäftigte, die bis zum Beginn der Impfpflicht vollständig immunisiert sein wollen, müssen sich jetzt die Erstimpfung geben lassen.
Gewerkschaft Verdi: "Starke persönliche und kollektive Verunsicherung"
„Wir beobachten eine deutliche Zunahme von Anfragen nach Einzelberatung zum Thema Impfpflicht. Und es gibt einen großen Run auf unsere Info-Veranstaltungen für Betriebs- und Personalräte. Für uns ist das ein Indiz dafür, dass es eine starke persönliche und kollektive Verunsicherung gibt“, sagte Jan von Hagen, Verdi-Sekretär für das Gesundheitswesen in NRW, dieser Redaktion.
Die Angst vor Jobverlust und Lohneinbußen mache die Runde. Verdi plädiert statt für eine Impfpflicht für eine „Impfkampagne mit mehr Transparenz und damit positiver Überzeugung der Beschäftigten“. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft unterstützt zwar die Impfpflicht, weist aber ebenfalls darauf hin, dass viele arbeitsrechtliche Details kurz vor dem Start noch ungeklärt seien.
Impfpflicht wird als "scharfes Schwert" wahrgenommen
Von Hagen spricht von großem „Verdruss“. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die ab Mitte März zum Beispiel für Pflegende, Mediziner und Rettungskräfte gilt, werde von vielen dieser Berufstätigen „als scharfes Schwert wahrgenommen“, obwohl die überwiegende Mehrheit unter ihnen vollständig geimpft sei. Die Beschäftigten erlebten die „logische Maßnahme Impfpflicht“ als Kontrast zu all den Maßnahmen, die in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls logisch gewesen wären, aber nicht ergriffen worden seien: „Da waren Stationen in der Pandemie überbelegt, es fehlte lange Zeit Schutzmaterial, und es gab zu wenig Personal.“
Pfleger wären so schnell nicht ersetzbar
Wie ernst die Lage werden könnte, erklärt Alexander Pröbstel, Pflegedirektor der Universitätsklinik Bonn, gegenüber dieser Zeitung: „In unserem Klinikum sind etwa 2500 Menschen in der Pflege beschäftigt. Von ihnen sind etwa 50 noch nicht geimpft. Sollten uns diese 50 Kolleginnen und Kollegen ab dem 15. März nicht mehr zur Verfügung stehen, dann wäre dies sehr bitter. Sie wären am Markt nicht ersetzbar.“
Pröbstel fordert im Bundesgesetz eine Alternative zum Verbot der Berufsausübung für Ungeimpfte. „Eine Weiterbeschäftigung sollte dann möglich sein, wenn der Arbeitgeber über ein ausreichendes und sicheres Hygienekonzept verfügt. Angesichts der sehr hohen Impfquote unter den Pflegenden und der sehr kleinen Zahl harter Impfverweigerer sollte es möglich sein, alle Pflegenden weiter beschäftigen zu können.“
Für die einrichtungsbezogene Impfpflicht sprechen die Risiken, die von ungeimpftem Personal für Patienten und Heimbewohner ausgehen könnten. Für sie gehe es um Leben und Tod, heißt es. Die Corona-Fallzahlen in NRW und in Deutschland steigen täglich stark an.
Hier ein Überblick über die Impfpflicht-Diskussion:
Für wen gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht?
Bis zum 15. März 2022 müssen zum Beispiel Beschäftigte in Kliniken, Pflegeheimen, Arztpraxen, Rettungsdiensten, Entbindungsstationen, aber auch in physiotherapeutischen Praxen nachweisen, dass sie vollständig geimpft sind oder sich nicht impfen lassen können. Ohne diesen Nachweis dürften sie ab dem 16. März nicht mehr in ihren Einrichtungen arbeiten.
Wie viele Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen sind geimpft?
Der Impfstatus in dieser Berufsgruppe ist zum Teil überwältigend hoch, insbesondere in großen Krankenhäusern. Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates NRW, sagte: „Wir wissen, dass das Pflegepersonal in NRW zu 95 bis 98 Prozent geimpft ist. Es gibt da große regionale Unterschiede in Deutschland. In NRW ist die Impfquote deutlich höher als zum Beispiel in den östlichen Bundesländern.“ In den Pflegeheimen dürfte die Impfquote niedriger sein als in Krankenhäusern, aber belastbare Daten fehlen hier.
Was ist also das Problem?
Obwohl nur wenige Ungeimpfte in Kliniken und Pflegeheimen arbeiten, sind diese Einrichtungen dringend auch auf diese Arbeitskräfte angewiesen. Alexander Pröbstel, Pflegedirektor der Uniklinik Bonn, erklärt, dass er auf die 50 noch ungeimpften Mitarbeiter dort nicht verzichten könne. Jan von Hagen, Verdi-Sekretär für das Gesundheitswesen in NRW, sagt dazu: „Die Beschäftigten wissen, wen sie gegebenenfalls in ihrem Team verlieren würden. Das ist mit der aktuellen Personalausstattung kaum auszuhalten. Wenn jemand auf einer Intensivstation arbeitet, für die man eigentlich acht Leute benötigt, dort aber nur fünf tätig sind und nun noch zwei weitere ausfallen würden, dann führt das zu großem Ärger.“
Das Zeitfenster bis zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sei sehr knapp, da noch offene Fragen beantwortet werden müssten, so von Hagen. Es gelte, „einen schmerzhaften Verlust von Pflegekräften zu verhindern“. Allein die Stadt Essen geht davon aus, dass man es bei insgesamt 50.000 Beschäftigten in diesem Bereich mit 2500 bis 3000 Ungeimpften zu tun bekommen könnte.
Mülheim rechnet mit bis zu 1500 Ungeimpften in den Einrichtungen.
Wer entscheidet über die Konsequenzen für Ungeimpfte?
Dafür sind die Gesundheitsbehörden vor Ort zuständig. Die Arbeitgeber müssen den Gesundheitsämtern jene Mitarbeiter melden, die mutmaßlich noch nicht vollständig immunisiert sind. Die Behörden untersuchen jeden Fall und sprechen möglicherweise Betretungsverbote am Arbeitsplatz aus. Arbeitgeber, die ihrer Info-Pflicht nicht nachkommen, müssen mit Bußgeldern bis zu 25.000 Euro rechnen.
Sind Kündigungen und Gehaltsverlust möglich?
Ja. In einer Erläuterung des Bundesgesundheitsministeriums zum Impfpflicht-Gesetz, heißt es, die Ungeimpften müssten damit rechnen, dass der Vergütungsanspruch entfällt. „Als letztes Mittel“ könne auch eine Kündigung in Betracht kommen.
Was befürchten die Kommunen in NRW?
„Es kann nicht sein, dass uns in den Städten wieder ein irrer Verwaltungsaufwand auf die Füße fällt“, warnte Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), der zugleich Vize des NRW-Städtetages ist, gegenüber unserer Redaktion. Bislang sei ungeklärt, wie sich der Bund das Zusammenspiel von Arbeitgebern und Gesundheitsämtern im Umgang mit personenbezogenen Daten vorstelle und wie Beschäftigungsverbote durchgesetzt werden sollen, so Kufen.
Der Sprecher der Kommunen im Ruhrgebiet (Kommunalrat), Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD), hat einerseits klargestellt, dass die Städte und Kreise im Revier diese Impfpflicht klar befürworteten. Andererseits müssten Bund und Länder noch klare, rechtssichere Regeln definieren.
Wie argumentiert die Bundesregierung?
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, am Dienstag Gast der SPD-Landtagsfraktion, sagte für die Bundesregierung, „gerade jetzt“ benötige man diese Impfpflicht. „Vom medizinischen Personal darf keine Gefahr ausgehen“, so Schulze. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass sich schwer kranke Menschen in der Klinik oder im Heim infizieren.
Wie groß ist die Chance, Ungeimpfte noch zu überzeugen?
Pflegedirektor Alexander Pröbstel erklärt, ein Drittel der 50 noch nicht Geimpften in der Uiklinik Bonn signalisiere, sich mit dem neuen proteinbasierten Impfstoff immunisieren zu lassen, sobald dieser verfügbar sei.
Ludger Risse, Vorsitzender des Pflegerates NRW, glaubt nicht an das „Worst-Case-Szenario“ von Massenkündigungen. „Natürlich sind bei diesem Thema Emotionen im Spiel, und in sozialen Netzwerken werden zum Teil gezielt Falschinformationen zum Impfen verbreitet, um die Emotionen noch zu schüren. In meinem beruflichen Umfeld sind es aber nur Einzelne, die sich nicht impfen lassen möchten oder noch abwarten wollen.“ Ungeimpfte, die ein Beschäftigungsverbot in Kauf nehmen würden, fänden wohl nicht gleich anderswo eine neue Stelle. Viele von ihnen könnten nicht auf ihr Gehalt verzichten.