Dortmund. Sie flohen vor Krieg und Gewalt aus Syrien und der Ukraine. Wurden sie in Deutschland unterschiedlich aufgenommen? Vier Frauen erzählen.
Sie flohen mit ihren Kindern vor Krieg, Bomben und unvorstellbarer Gewalt. Sie kamen mit Flüchtlingsbooten, gingen tagelang zu Fuß, fuhren mit Bussen und Zügen oder gelangten mit einem Visum nach Deutschland. Alle sind dankbar über die Hilfsbereitschaft, die sie hier erfuhren und versuchen, ein neues Leben zu beginnen.
Doch seit der Krieg in der Ukraine tobt, begann in Deutschland auch eine Debatte über eine ungleiche Behandlung der Flüchtlinge. Werden Menschen aus der Ukraine bevorzugt? Sind sie willkommener als andere? Wie sehen das die Betroffenen selbst? Die Redaktion protokollierte die Erfahrungen von zwei syrischen und zwei ukrainischen Frauen.
Methal Sulaiman (43) aus Aleppo, Syrien:
„Ich denke nicht darüber nach, ob Ukrainerinnen anders behandelt werden als wir Syrer damals. Aber ich glaube, dass vieles von dem, was heute möglich ist, auch durch Erfahrungen mit uns möglich gemacht wurde.
Bei mir war das so: Ich habe Leukämie. Mit Beginn des Kriegs war es für mich immer schwieriger, Blutinfusionen zu bekommen. 2015 durfte ich aus Nordsyrien zur medizinischen Behandlung mit einem Visum nach Deutschland reisen. Meine drei Kinder, mein Mann und ich kamen mit dem Flugzeug. Zehn Monate haben wir in einer Kleinstadt in Ostwestfalen gelebt, mit 22 Familien aus verschiedenen Ländern in einem Heim. Heute wohnen wir in Dortmund.
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Für uns war hier alles anders als zu Hause. Aber auch wir haben Hilfe erfahren, von einem Professor etwa, der unseren Kindern mit Deutsch half. Trotzdem haben wir lernen müssen, geduldig zu sein. Meine Tochter konnte zwar früh eine Schule besuchen, kam aber erst nach drei Jahren von der Vorbereitungsklasse in eine reguläre achte Klasse. Bald macht sie Abitur und will Psychologie studieren. Und bis heute kann ich nicht als Grundschullehrerin arbeiten. Meine Ausbildung verlief anders als hier. Ich würde aber gern Arabisch unterrichten.
Wir sind Menschen von einem anderen Kontinent, aus einer anderen Kultur, auf die sich dieses Land auch einstellen musste. Und ich glaube, dass die Frauen aus der Ukraine selbstbewusster sind als viele aus Syrien es damals waren. Aber ich bin hier in Dortmund angekommen. Nur manchmal gibt es Momente, in denen ich spüre, dass wir etwas anders betrachtet werden.“
Marina Mohamed (35)aus Qamischlo, Syrien:
„Eine Sache, die mich vielleicht von den Frauen aus der Ukraine unterscheidet: Mir stellt sich gar nicht die Frage, ob ich jemals zurück nach Syrien kann. Ich kann es nicht, schon wegen meiner Kinder nicht. Sie haben schlimme Dinge im Krieg gesehen und viel durchgemacht.
Mein Mann, meine drei Kinder und ich sind aus Aleppo in die Türkei und dann nach Griechenland geflohen. Wir haben einen Schlepper bezahlt, waren sechs, sieben Stunden in einem vollen Schlauchboot und sind über Ungarn gekommen. Zu Fuß, mit dem Auto oder Zug. Das haben wir geschafft, darauf bin ich stolz.
Vielleicht ist es mir deshalb nicht wichtig, ob Ukrainerinnen heute schneller an eine Wohnung oder Arbeit kommen als wir damals. Ich kannte Deutschland nicht, aber ich wusste, nach all dem, was wir erreicht hatten, würden wir es schaffen. Ich habe das für meine Kinder getan. In Dortmund haben wir fünf Monate in einem Flüchtlingsheim gelebt. Eine junge Frau vermittelte uns eine Wohnung, in der wir bis heute leben. Vieles hat 2015 länger gedauert, klar, es kamen mehr Menschen. Viele Flüchtlinge behaupteten, sie seien Syrer und da mussten Anträge geprüft werden. Auf einen Sprachkurs habe ich ein halbes Jahr gewartet. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl gehabt, mir werden die Dinge besonders schwer gemacht. Letztlich sollte es egal sein, wo die Bomben fallen, ob in Aleppo oder in der Ukraine.
Ich helfe heute ehrenamtlich bei der Diakonie bei der Betreuung ukrainischer Flüchtlinge. Ich bin damals für meine Kinder geflohen, weil ich sie beschützen wollte. Das eint uns alle, denke ich.“
Svitlana Patlakha (41) aus Dnipro, Ukraine:
„Ich komme aus Dnipro, einer Stadt mit knapp einer Million Einwohner etwa 300 Kilometer nordwestlich von Mariupol. Als der Krieg näher rückte und Bomben fielen, bin ich mit meiner neunjährigen Tochter Anzhelina geflohen. In einer Nacht starben zehn Menschen – und es fallen die ganze Zeit Bomben.
Mit einem Flüchtlingszug sind wir nach Polen aufgebrochen. Es dauerte eine Woche, bis wir in Warschau waren, meine Tochter wurde krank. Da rief mich meine Schulfreundin an, sie wohnt seit vielen Jahren in Dortmund. Sie sagte, wir sollten zu ihr kommen. Dort hat uns die ersten zehn Tage eine Familie bei sich aufgenommen. Sie halfen uns auch, eine Wohnung zu finden. Dort leben wir jetzt, es ist nur ein Zimmer, aber wir sind glücklich.
Wir sind jetzt seit gut zwei Monaten in Dortmund, nach vier Wochen fanden wir einen Platz in einer Schule in der Nähe, meine Tochter ist sehr froh, wieder in die Schule gehen zu können.
Ich habe Wirtschaft und Mathematik studiert. In Dnipro hatte ich ein Reisebüro. Ich möchte gerne erstmal hierbleiben, man weiß nicht, wie lange der Krieg noch dauert und hier ist es für meine Tochter besser, hier ist sie sicher. Langsam werde ich ruhiger. Ich lerne Deutsch, nach den Sommerferien besuche ich den Integrationskurs. Ich möchte mich darauf vorbereiten, wieder zu arbeiten.
Die Unterschiede zu Deutschland empfinde ich nicht als so groß. Die Frauen in der Ukraine sind emanzipiert, gut ausgebildet, viele sind berufstätig und haben Führungspositionen. Da ist die Integration vielleicht leichter. Ich habe hier keine Vorurteile erlebt.“
Renata Sobenko (30) aus Charkiw, Ukraine:
„Am 24. Februar wurde ich morgens früh von Bomben geweckt. Das war der Guten-Morgen-Gruß aus Russland. Ich komme aus Charkiw im Osten der Ukraine, das liegt nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Dort wird heftig gekämpft, viele Menschen flüchteten. Wir haben zuerst in der U-Bahn Schutz gesucht vor den Raketen, doch irgendwann wurde es zu schlimm. Ich dachte, das hört niemals auf.
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Am 12. März bin ich mit meinen zwei Kindern, sie sind zwei und vier Jahre alt, in einen Evakuierungszug gestiegen. Der war völlig überfüllt, wir fuhren 30 Stunden bis Lwiw, die Stadt liegt im Westen, etwa 70 Kilometer vor der polnischen Grenze. Von dort ging es weiter mit einem Bus nach Polen. Und dann sind wir direkt weiter gereist nach Dortmund. Hier lebt seit 30 Jahren eine Tante von mir. Zuletzt habe ich sie besucht, da war ich 15 Jahre alt. Wir Drei leben jetzt bei ihr. Ich habe auch schon eine Wohnung für uns gefunden, das Sozialamt prüft gerade, ob wir sie bekommen können. Der Vater der Kinder ist noch in der Ukraine, aber er ist nicht in der Armee.
Die Ukraine ist ein demokratisches, europäisches Land wie Deutschland. Wir wurden sehr gut aufgenommen und ich bin dankbar dafür. Ich bin Zahnärztin und will auf jeden Fall wieder arbeiten. Aber ich weiß nicht, wie das läuft mit der beruflichen Anerkennung und muss zuerst gut Deutsch lernen.
Für mich ist es jetzt noch zu früh, mir viele Gedanken über die Zukunft zu machen. Wir wollen als Familie wieder zusammen sein. Vielleicht fahre ich mit meinen Kindern zurück, wenn wieder Frieden ist. Keiner weiß es.“