Washington/Moskau. Biden hat Putin indirekt einen Mörder genannt. Putin reagiert betont entspannt. So steht es jetzt um das Verhältnis der Supermächte.

Als Moskau zuletzt in Washington seinen Botschafter abzog, saß noch Boris Jelzin im Kreml. Im Dezember 1998 reagierte Russland mit dem Rückruf von Juli Woronzow auf amerikanisch-britische Luftangriffe im Irak.

Dass der Diplomat schon nach wenigen Tagen wieder auf dem diplomatischen Parkett der US-Hauptstadt aufschlug, ging am Donnerstag unter, als sich die politische Klasse dies- und jenseits des Atlantiks über das jüngste Signal robuster Realpolitik zwischen den Supermächten beugte: US-Präsident Joe Biden hatte Russlands Staatschef Wladimir Putin in einem Fernseh-Interview indirekt einen „Mörder“ genannt. Und versprochen, dass Moskau schon sehr bald „einen Preis zahlen wird“ für Störmanöver bei den US-Wahlen im vergangenen November.

Putin reagiert betont gelassen auf Bidens Vorwurf

In Russland schlug Bidens Vorwurf ein wie eine Bombe. Prompt bekam der Statthalter des Kremls in Washington, Anatoli Antonow, den Marschbefehl in die Heimat. An der Moskauer Börse sackte der vorher aufstrebende Rubel am Mittwoch um über einen Prozentpunkt ab. Und Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete Bidens Worte als beispiellos in der diplomatischen Geschichte beider Länder.

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Präsident Putin aber konterte demonstrativ gelassen. „Wir sehen in einem anderen Menschen immer unsere eigenen Eigenschaften und denken, dass er so sei wie wir selbst“, betonte er in einer Erklärung. „Das ist nicht nur ein kindischer Ausdruck, ein Scherz. Die Bedeutung ist tief und psychologisch.“ Putin wünschte dem 78-jährigen Biden auch „gute Gesundheit, ohne jede Ironie“. Moskau werde sich nicht einschüchtern lassen.

Biden will sich wohl von Trump abgrenzen

Ist die Befürchtung berechtigt, dass die USA und Russland nur 60 Tage nach dem Amtsantritt Bidens in einen neuen Kalten Krieg abdriften? Stimmen im Außenministerium wie im Umfeld des Weißen Hauses geben Entwarnung: „Es geht um Feldbereinigung und Kontrastschärfung zu Vorgänger Donald Trump.“ Der hatte, obwohl seine Regierung heftige Sanktionen gegen Moskau ins Werk setzte, vier Jahre lang jedes böse Wort über Putin vermieden.

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Biden dagegen beweist mit seiner brachial klingenden Rhetorik nur Kontinuität. Als Vizepräsident hatte er dem Kremlherrscher abgesprochen, eine „Seele“ zu haben. Im Wahlkampf 2020 nannte er ihn nach sich häufenden Todesfällen von Oppositionellen einen „KGB-Verbrecher“, was man mit Straßenschläger übersetzen darf.

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US-Geheimdienste halten Moskau Einmischungsversuche bei US-Wahl vor

Dass Biden die ihm von ABC-Moderator George Stephanopoulos untergeschobene „Killer“-Formulierung nicht staatsmännisch zurückwies, zumal nirgends klargemacht wurde, welchen „Mord“ man Putin denn nun zur Last legt, riecht nach Tabu-Verletzung. Folgt in der Realität aber dem, was Bidens demokratischer Parteifreund, Senator Jeff Merkley, so charakterisiert: Trump sei „Russlands Schoßhund“ gewesen. Was Amerika brauche, sei ein „Wachhund“.

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Dass Biden derart schroff auftrat, hat mit einem Bulletin der US-Geheimdienste zu tun. Sie halten Moskau – nach 2016 – auch bei der Wahl 2020 massive Einmischungsversuche vor. In dem Papier von Geheimdienstdirektorin Avril Haines wird aufgedröselt, dass unter Putins Direktive versucht worden sei, Biden zu diskreditieren.

Biden will Putin einen „Preis" zahlen lassen

Der Kremlchef habe ukrainische Politiker instrumentalisiert, die wichtige Multiplikatoren in den USA (etwa Trumps Anwalt Rudy Giuliani) mit konstruierten Korruptionsvorwürfen gegen Biden und dessen Sohn Hunter versorgt hätten.

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Wie der „Preis“ aussieht, den Putin dafür zu zahlen habe, ließ Biden offen. Er weiß, die Spielräume sind eingedenk existierender Sanktionen gegen Regierungsfunktionäre und Oligarchen eng, sagen mit dem Russland-Dossier vertraute Kongressabgeordnete. „Drohungen, denen keine realen Konsequenzen folgen, kann er sich aber auch nicht erlauben.“

Biden fährt gegenüber Moskau eine Doppelstrategie

Dass Biden kein Interesse habe an einer „irreversiblen Beschädigung“ der russisch-amerikanischen Beziehungen, zeige seine Doppelstrategie. Zusammenarbeit da, wo es Berührungspunkte gibt. Etwa geschehen bei der Last-Minute-Verlängerung des „New Start“-Abkommens zur Begrenzung von atomaren Sprengköpfen und Trägersystemen.

Aber im Gegenzug auch Ausgrenzung und öffentliche Diskreditierung dort, wo der Kreml aus Sicht des Weißen Hauses den globalen Störenfried gibt. Wie in der Ukraine. Oder wie beim Giftanschlag auf Kremlkritiker Alexej Nawalny. Oder wie bei den jüngsten Cyberangriffen auf US-Stellen und dem von Trump nie aufgeklärten Vorwurf, Russland habe den Taliban Kopfgelder für die Tötung amerikanischer Soldaten in Afghanistan angeboten.

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Manche russischen Politikexperten glauben, Biden habe Putin bewusst als „Killer“ beschimpft. Die Politologin Lilija Schewzowa glaubt, die Attacke solle helfen, die USA wieder zur moralischen Führungsmacht der freien Welt aufzubauen. Biden sehe die internationale Politik als Konfliktfeld zwischen Demokratie und Autoritarismus.