Washington. Seit 19 Jahren gibt es das US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba. Joe Biden will es nun schließen lassen. Doch es gibt Widerstände.
Seine Mutter hat bereits eine Braut für ihn gefunden. Seine Brüder haben nach Medienberichten die nötigen Utensilien gekauft, damit er daheim in Algerien eine Pizzeria eröffnen kann. Jetzt muss Sufyian Barhoumi nur noch freikommen aus einem der berüchtigsten Gefangenenlager der Welt. Müsste.
Der 47-Jährige gehört unter den letzten 40 Insassen des Gefangenenlagers in Guantánamo, das die USA vor 19 Jahren auf ihrer Militärbasis in Kuba nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 installierten, zu jenem halben Dutzend Männer, die nach intensiver Prüfung bereits seit fünf Jahren zur Entlassung anstehen. Weil sie wie im Fall Barhoumi, der 2002 in Pakistan unter dem Verdacht verhaftet worden war, eng mit Al-Kaida paktiert zu haben, als unschuldig eingestuft wurden.
Schon Obama wollte Guantánamo schließen
Anfang 2017 kam Donald Trump ins Weiße Haus - und die zähfließende Politik seines Vorgängers Barack Obama, der 2009 vollmundig die Schließung des für Justizwillkür stehenden Knasts in der Karibik versprochen hatte und damit kläglich gescheitert war, zum Stillstand. Barhoumi sitzt immer noch ein.
Unter Präsident Joe Biden kann er neue Hoffnung schöpfen. „Unsere Absicht und unser Ziel bleibt es, Guantánamo zu schließen“, sagt Regierungssprecherin Jen Psaki. Wenn das so einfach wäre.
Hunderte Menschen wegen Mangel an Beweisen entlassen
Unter Präsident George W. Bush wurden ab 11. Januar 2002 rund 780 Männer aus über 50 Ländern nach Guantánamo gebracht. Die ersten 20 von ihnen landeten in Käfigen des heute meterhoch zugewachsenen „Camp X-Ray“.
Bevor Obama den Republikaner 2009 ablöste, waren 540 weitere Menschen bereits aus Mangel an Beweisen entlassen worden. Obama reduzierte die Zahl der Inhaftierten um weitere 200. Durch Rückführung in ihre Herkunftsländer. Oder in aufnahmewillige Drittstaaten.
Mehr ging nicht. Der Kongress bestimmte, dass keiner der Terror-Gefangenen auf US-Festland überstellt und dort vor ein normales Gericht gestellt werden kann. Treibende Kraft: die Republikaner.
Häftlinge kosten US-Steuerzahler etwa 13 Millionen Dollar pro Jahr
Unter den verbliebenen 40 Insassen, die den US-Steuerzahler laut Pentagon pro Jahr jeweils um die 13 Millionen Dollar kosten, sind neben Fällen wie Barhoumi rund zwei Dutzend, die nie angeklagt wurden. Die aber auch nach fast 20 Jahren Gefangenschaft immer noch als zu gefährlich gelten, um sie jemals zu entlassen.
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Nur neun Häftlingen soll in einem Hochsicherheits-Gerichtsgebäude auf der Militärbasis der Prozess gemacht werden. Darunter sind Khalid Scheich Mohammed und vier weitere Al-Kaida-Kader. Sie werden für den Tod von 2976 Menschen am World Trade Center in New York, am Verteidigungsministerium in Washington und auf einem Acker in Pennsylvania verantwortlich gemacht.
Terror in den USA: Tausende Tote an 9/11
Republikaner wehren sich gegen Guantánamo-Schließung
Das Corona-Virus und ein zurückgetretener Richter für die seit über zehn Jahren auf der Stelle tretenden Militär-Tribunale haben den Plan durchkreuzt, noch vor dem 20. Jahrestag von „9/11“ den Opfer-Familien Seelenfrieden zu verschaffen.
Die Bedingungen für eine Aufgabe des Gefangenenlagers, das Amerikas Ansehen in der Welt demoliert hat, sind politisch nicht viel günstiger geworden. Der Kongress hat das letzte Wort, die Mehrheitsverhältnisse sind knapp. Präsident Biden muss weiter mit erbittertem Widerstand der Republikaner rechnen.
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Abschiebung von Häftlingen wahrscheinlichstes Szenario
Sieben Abgeordnete, allesamt Militär-Veteranen, haben dies in einem Brief bereits angekündigt. „Wenn wir die Gitmo-Gefangenen entlassen, werden sie in der Welt des islamistischen Extremismus` zu Rockstars und stellen für Amerika eine noch größere Gefahr dar“, sagt der Abgeordnete Mike Waltz. Auch unter Demokraten gibt es Vorbehalte.
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Als wahrscheinlichstes Szenario gilt, dass Biden die Häftlingszahl weiter durch Rückführung in Heimat- oder Drittländer abbauen will. „Dazu braucht es spezielle Botschafter mit exzellenten Kontakten - und Rückhalt quer durch den Regierungs-Apparat von Justiz- über Verteidigungs- bis zum Heimatschutzministerium“, sagen Experten im Außenministerium.
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Zivilgesellschaft fordert Guantánamo-Schließung
Unterdessen machen Menschenrechts-Organisationen wie „Human Rights Watch“ Zeitdruck geltend. Das Gros der Gefangenen sei alt, krank und psychisch auch durch die anfangs folterähnlich durchgeführten Verhör-Methoden schwer geschädigt. „Viele fürchten, ohne Anklage und Urteil in Guantánamo zu sterben“, sagte schon vor Jahren ein Anwalt dieser Zeitung.
Zivilgesellschaftlichen Druck erhoffen sich Guantanamo-Gegner durch das steigende Medien-Interesse im 20. Jahr nach 9.11. Dazu gehören auch Kino-Filme wie der gerade mit dem Golden Globe prämierte „The Mauretanian“, in dem es um den 2016 freigelassenen Mohamedou Ould Slahi geht, der in Duisburg Elektrotechnik studiert hatte.
Auch eine anstehende Verfilmung des Schicksals des Bremers Murat Kurnaz, der von 2002 bis 2006 in Guantánamo einsaß, wird die Debatte neu entfachen. Die Zeitung „Pittsburgh Gazette“ rief Präsident Biden auf, Guantánamo endlich zu schließen: „Es ist viel zu lange ein schwarzer Fleck auf dem amerikanischen Rechtssystem und eine Beleidigung für grundlegende Menschenrechte gewesen.“
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