Essen. Schichtdienst und Familie? Was für Paare schon schwierig ist, ist für Alleinerziehende kaum zu stemmen. Ein Essener Programm hilft.

Gabriela Cambour wird den Moment nicht vergessen, in dem sie beinahe ihre Ausbildung hätte abbrechen müssen. Die 39-jährige Essenerin war nach einer Nachtschicht im Krankenhaus gerade zu Hause aufgewacht, organisierte den Alltag mit ihren Kindern um die nächsten Stunden in der Klinik herum, als das Telefon vibrierte.

Es meldete sich jene Frau, die der Alleinerziehenden immer dann mit ihren zwei Töchtern hilft, wenn Kita und Schule zu sind, aber Cambour arbeiten muss. Krankheitsbedingt, erklärte die Frau, könne sie die beiden ab sofort nicht mehr betreuen. „Da muss man erst einmal schlucken“, sagt Cambour. Natürlich habe sie Verständnis gehabt, „aber einen Moment lang weißt du trotzdem nicht mehr, wie du das jetzt auch noch organisieren sollst.“

Jede fünfte Familie eine Ein-Eltern-Familie, viele Alleinerziehende sind armutsgefährdet

Wechseldienste, Nachtschichten oder Wochenendarbeit - was für Paarfamilien schon schwer zu stemmen ist, bedeutet für Alleinerziehende eine besondere Herausforderung. Wenn die Schicht um 5 Uhr beginnt, die Kita um 7 Uhr öffnet, ist eine solche Erwerbstätigkeit, mit der das eigene Leben finanziert wird und die Sicherheit fürs Alter schafft, erheblich erschwert.

Dabei ist bei Alleinerziehenden und ihren Kindern die Not oft groß. Diese Familien sind rein statistisch besonders oft von Armut bedroht. Laut der Bertelsmann-Stiftung wachsen in NRW über 40 Prozent der Kinder in Familien mit SGB-II-Bezug bei Alleinerziehenden auf.

NRW fördert seit diesem Kita-Jahr flexiblere Betreuungszeiten in der Tagespflege besonders, schon vorher gab es kommunal vereinzelt Lösungen. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in NRW hat sich 2014 dem Problem angenommen: Mit dem Programm „Sonne, Mond und Sterne“ vermittelt er in Essen rund 35 geschulte Ehrenamtliche, die ergänzend zu Kita und OGS die Kinder zu Hause betreuen, wenn Alleinerziehende arbeiten müssen. Rund 50 Familien haben bislang profitiert, darunter haben 16 Männer und Frauen ihre Ausbildung abschließen können – 14 im nach Personal lechzendem Gesundheitswesen. Vergleichsweise kleine Zahlen in einer Region wie dem Ruhrgebiet. Für Frauen wie Cambour ist die Hilfe existenziell.

Alleinerziehende: Immer gearbeitet, aber nicht weitergekommen

Ihre Geschichte ist wie die so vieler. Sie ist jung Mutter eines heute erwachsenen Sohnes geworden. Statt eines Studiums musste schnell Geld verdient werden. Mit ihrem damaligen Mann kam die Argentinierin nach Deutschland, wo zwei weitere Kinder zur Welt kamen.

Sie habe immer gearbeitet, sagt Cambour, in Restaurants, Cafeterien, was sich ergab, und als Alleinerziehende auch Unterhalt erhalten. Doch sie habe gewusst, dass sie langfristig nicht weiterkomme. „Ich brauchte eine Perspektive für mich und meine Kinder“, sagt sie.

Noch in Argentinien habe sie Medizin studieren wollen, in Deutschland hat ein Praktikum in einer Klinik sie in ihrem Interesse bestärkt. Sie beginnt eine einjährige Ausbildung zur Pflegeassistenz, startet die dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegefachkraft in Essen. Drumherum baut sie ihren Alltag, fragt, wann immer möglich nach Frühdiensten und organisiert sich Betreuungshilfe. Ihre kleine Tochter wird drei, die größere ist zehn, als dies wegbricht.

Antje Beierling, Vorstand des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in NRW.
Antje Beierling, Vorstand des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) in NRW. © FUNKE Foto Services | Sebastian Konopka

Von einer Kollegin erfährt die 39-Jährige, dass es die Ehrenamtlichen vom VAMV gibt. „Ohne diese Unterstützung hätte ich meine Ausbildung nicht abschließen können“, sagt Cambour. Zwei feste „Kinderfeen“ bringen die Große zur Schule, holen die Kleine von der Kita, essen mit ihnen abends, wenn ihre Mutter arbeitet. „Ich weiß, dass es meinen Kindern gut geht, dass sie betreut sind. Das ist so viel wert.“

Rund 150.000 Euro Fördergelder ermöglichen Hilfe für derzeit 20 Familien

Möglich ist dieses Angebot laut VAMV, weil das Jugendamt der Stadt Essen in Kooperation mit dem Jobcenter rund 150.000 Euro im Jahr für die Betreuung von bis zu 20 Familien mit Kindern im Alter von drei bis 14 Jahren ermöglicht. Für die Alleinerziehenden ist das Programm kostenfrei, Ehrenamtliche erhalten eine Aufwandsentschädigung. Der Bedarf ist nach Einschätzung des VAMV landesweit da. „Die bedarfsgerechte Kinderbetreuung ist der Schlüssel für die Berufstätigkeit und der Weg aus der Armut für viele Frauen“, ist VAMV-Vorstand Antje Beierling überzeugt.

Gabriela Cambour berichtet, dass sie im März ihre Ausbildung abgeschlossen habe und seit 1. April auf der kardiologischen Station ihres Essener Ausbildungskrankenhauses arbeite. Sie sei dankbar, sagt Cambour, eine Perspektive zu haben und ihren Mädchen zu zeigen, wie viel möglich ist. Sie freue sich über ihre Arbeit, aber auch auf den Geburtstag der Tochter. Im Mai wird die Kleine fünf.