Düsseldorf. Der Ministerpräsident spielt im “Team Vorsicht“, doch sein kleiner Koalitionspartner bestimmt in der Corona-Politik zunehmend den Kurs.
Als gelernter Generalsekretär hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) früh eine strategische Lebensweisheit verinnerlicht: Mit Schulpolitik gewinnt man keine Landtagswahlen, man kann sie mit ihr aber sehr wohl verlieren. Das gilt umso mehr in der inzwischen zweijährigen Ausnahmesituation der Corona-Pandemie, die einer NRW-weit riesigen Betroffenengruppe von 2,5 Millionen Schülern, 200.000 Lehrern sowie einem Vielfachen an Eltern und Großeltern einiges zugemutet hat.
Bislang ist es Wüst ganz gut gelungen, das heikle Thema auf Distanz zu halten. Mit konzentrierten Auftritten, kontrollierter Sprache und vorsichtigem Pandemiekurs hat sich der 46-jährige Ex-Verkehrsminister in nur sechs Monaten in der Staatskanzlei eine ordentliche Umfrage-Ausgangslage für die Landtagswahl am 15. Mai verschafft. Die laut Demoskopie extreme Unzufriedenheit der NRW-Bürger mit der schwarz-gelben Bildungspolitik geht bislang allein mit der umstrittenen Schulministerin Yvonne Gebauer und deren FDP nach Hause.
NRW-Ministerpräsident Wüst fährt im Umgang mit der FDP doppelgleisig
Damit das so bleibt, fährt Wüst doppelgleisig: Er lobt die hervorragende Koalitionsharmonie mit den Liberalen in Düsseldorf und giftet gegen die Lockerungsideologie der Liberalen in der Ampel-Bundesregierung. Als wenn die FDP seines Vize-Ministerpräsidenten Joachim Stamp eine andere wäre als jene der Bundesminister Christian Lindner und Marco Buschmann.
Die Fliehkräfte haben spätestens an diesem Freitag zugenommen: Die Koalition in Berlin hat die Möglichkeit zu flächendeckenden Corona-Schutzmaßnahmen abgeschafft und gewährt nur noch eine einmalige Verlängerung bis 2. April. Danach können die Länder nur noch regionale „Hotspots“ definieren, für die sie jedoch eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems anzeigen müssen.
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Wüst, der sich selbst gerade in Corona-Quarantäne in Israel befindet, hält das angesichts galoppierender Infektionszahlen für „rechtlich unsicher und praktisch nicht umsetzbar“. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), ebenfalls infiziert und in Isolation, schimpft über das Ampel-Vorgehen: „Das passt hinten und vorne nicht zusammen.“
FDP setzt bewusst auf die Nische der Freiheitsliebenden
Eine von Wüst noch am Donnerstag ins Gespräch gebrachte Verlängerung der Maskenpflicht in den Schulen bis zu den Osterferien ab 8. April lässt sich rechtlich gar nicht mehr so leicht umsetzen. Die Übergangszeit für flächendeckende Maßnahmen endet in zwei Wochen, weshalb Schulministerin Gebauer am Freitag auch zufrieden bilanzierte, dass man im Einklang mit den Bundesbeschlüssen nun lockern werde.
Nach den Osterferien fallen auch noch die verpflichtenden Corona-Tests in den Schulen weg: „Angesichts der zum Teil dramatischen Auswirkungen der vergangenen beiden Jahre auf Kinder und Jugendliche dürfen sie bei den nun anstehenden Lockerungen nicht hintenanstehen“, findet Gebauer.
Wüst ahnt wohl, dass die mehrheitlich vorsichtigen Elternhäuser diesen Kurs kaum gutheißen werden und dass sein Ruf als Mitglied im „Team Vorsicht“ leiden könnte. Aber was soll er machen? Acht Wochen vor den Landtagswahlen kann er die FDP schlecht rausschmeißen. So muss der Ministerpräsident das Kunststück vollbringen, sich öffentlich von einer Regierungspolitik distanzieren, die er selbst verantwortet.
Die Opposition dürfte auf Schul-Abwahlkampf setzen
Die Liberalen wollten nicht einmal die aktuelle Corona-Schutzverordnung unverändert bis zum 2. April verlängern. Sie setzten bei Laumann eine Reihe von Änderungen durch: Zuschauerbeschränkungen im Fußball, Maskenpflicht im Außenbereich, 2G-Plus bei Volksfesten – all das wird schon ab Montag gekippt. Die FDP vertritt eben die Position, dass strenge Corona-Maßnahmen nur dann zu rechtfertigen seien, wenn eine akute Überlastung des Gesundheitssystems drohe. Dies sei trotz der hohen Infektionszahlen aufgrund meist milderer Krankheitsverläufe aber erkennbar nicht mehr der Fall.
Die Liberalen bedienen damit eine kleinen, aber stabile politische Marktlücke: „Angst und Panik zu schüren, ist sicherlich der einfachere politische Weg, es muss aber auch eine Partei geben, die sich für die Rücknahme von Grundrechtseingriffen einsetzt und zu angemessenem Risiko bereit ist, und das ist die FDP“, sagte Landtagsfraktionschef Christof Rasche.
In der Opposition hat man längst das Einfallstor für einen harten Schul-Abwahlkampf in der heißen Phase nach Ostern erkannt: „Die Koalitionspartner der Landesregierung aus CDU und FDP scheinen grundsätzlich anderer Auffassung zu sein und mit verschiedenen Stimmen zu sprechen“, stichelte SPD-Schulexperte Jochen Ott. Wüst habe am Donnerstag in Sachen Maskenpflicht etwas anderes angekündigt, als Gebauer am Freitag umsetzte.
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