Berlin. Die Debatte war kontrovers, aber es zeichnet sich eine Tendenz ab. Die Mehrheit im Deutschen Ethikrat ist für eine Erlaubnis der Beschneidung kleiner Jungen aus religiösen Gründen. Allerdings nur, wenn beide Eltern zustimmen und sichergestellt ist, dass die Kinder keine Schmerzen leiden müssen.
Der Deutsche Ethikrat hat nach kontroverser Debatte eine Tendenz für die Erlaubnis der Beschneidung kleiner Jungen aus religiösen Gründen erkennen lassen. Eine solche Erlaubnis sei allerdings nur unter Vorbehalten denkbar, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, am Donnerstag in Berlin. Dazu gehöre die Einwilligung beider Elternteile, die Schmerzbekämpfung und "fachgerechte Durchführung" der Beschneidung.
Die Mitglieder des Gremiums sprachen sich nach einer mehrstündigen Diskussion zudem für die Gründung eines Runden Tisches aus, an dem Juden, Muslime, Elternvertreter und Ärzte aller Fachrichtungen gemeinsam Leitlinien zur Beschneidung und für deren intensivere Erforschung entwickeln sollen. Als Grundvoraussetzungen für die Erlaubnis der Beschneidung nannte der Mediziner Leo Latasch die Einführung eines Rechts auf Schmerzreduktion, die Einhaltung hygienischer Standards und eine Prüfung der Beschneider.
Das Landgericht Köln hatte die Beschneidung eines Jungen als Körperverletzung gewertet
Anlass für die Beratungen des Ethikrats war ein Urteil des Landgerichts Köln. Dieses hatte kürzlich die Beschneidung eines vierjährigen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet und damit einen Sturm des Protests in muslimischen und jüdischen Gemeinden ausgelöst. Um die Verunsicherung zu beenden, forderte der Bundestag im Juli die Regierung auf, bis Herbst einen Vorschlag für die gesetzliche Regelung vorzulegen.
Der aus der Türkei stammende Medizinethiker Ilhan Ilkilic begrüßte nach der Diskussion im Ethikrat, dass sich eine Mehrheit seiner Kollegen für eine Straffreiheit bei der Beschneidung ausgesprochen habe. Wenn in Deutschland aufgewachsene Muslime sich durch das Urteil kriminalisiert fühlen müssten, "ist das natürlich keine angemessene Situation", hob er hervor. Ilkilic betonte zugleich, dass das Menschenrecht klare Grenzen setze. So werde beispielsweise weibliche Genitalverstümmelung auch von Muslimen klar abgelehnt.
Muslimische und jüdische Gemeinden hatten klare Regeln zu Beschneidung gefordert
Kritisch zur Praxis der Beschneidung äußerte sich in der Diskussion der Hamburger Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel. Vor dem Hintergrund, dass zahlreiche Juden nach dem Kölner Urteil das Land verlassen könnten, erkenne er zwar an, dass der Gesetzgeber nach Wegen suche, die Beschneidung zu ermöglichen, sagte Merkel. Nach geltendem Recht ist aus seiner Sicht jedoch die mit der Beschneidung verbundene Verletzung des kindlichen Körpers rechtswidrig. Merkel warnte vor der Schaffung eines "Sonderrechts", das eine frühkindliche Beschneidung auch "aus willkürlichen, extravaganten Gründen" erlauben müsse.
Andere Ethikrat-Mitglieder sahen indes das Recht, ihre Kinder beschneiden zu lassen, durch das elterliche Erziehungsrecht abgedeckt. Der Erlanger Theologe Peter Dabrock argumentierte in seinem Kurzreferat, dass das Kindeswohl und eine aus religiösen Gründen vorgenommene Beschneidung an nicht-einwillungsfähigen Jungen nicht unvereinbar seien. Eine Beschneidung zu verhindern, wäre zudem "ein schwerer Eingriff in die positive Religionsfreiheit jüdischer und muslimischer Menschen". (AFP)