Düsseldorf. Die Versorgungslage mit Corona-Impfstoffen entspannt sich, Termine werden schnell vergeben. Aber es gibt immer mehr Ärger mit “Impfschwänzern“.
Die monatelang vom Mangel geprägte Impfkampagne in NRW steht ab dieser Woche vor einer Wende. Allein in den Impfzentren sollen im Juli laut der Landesregierung insgesamt rund 2,4 Millionen Termine für Erstimpfungen vergeben werden können. Auch in den Hausarztpraxen dürfte es nun viel schneller gehen: „Termine sind jetzt fast überall schnell zu bekommen. In vielen Praxen sollte ein Impftermin binnen einer Woche möglich sein“, sagte Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein, dieser Redaktion.
Etwa 55 Prozent der NRW-Bevölkerung sind inzwischen mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft worden, 40 Prozent sind vollständig immunisiert. Weil das Land laut dem jüngsten Impferlass des NRW-Gesundheitsministeriums jetzt mit „deutlich erhöhten Impfstoffkontingenten“ rechnet, rückt das Ziel der Regierung, „jedem Impfwilligen im Juli ein Angebot für eine Erstimpfung“ zu machen, offenbar in greifbare Nähe.
Jetzt auch Impftermine für Genesene in den Impfzentren
Es würden in diesem Monat zunehmend freie Termine in Impfzentren über die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zur Verfügung gestellt. Ab dem heutigen Montag sollen die KVen auch Corona-Genesenen erstmals die Buchung von Einzelterminen anbieten.
Die Hausärzte in NRW – eine feste Säule in der Impfkampagne – klagen allerdings über Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko): Menschen, die zuerst mit dem Produkt von Astrazeneca geimpft wurden, sollen demnach eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff (Biontech/Pfizer und Moderna) ermöglicht werden, weil diese so genannte „Kreuzimpfung“ den Schutz vor der ansteckenderen Delta-Variante des Coronavirus erhöhen soll. Effekt: Die Nachfrage nach Biontech steigt rapide, Astrazeneca wird erneut zum „Ladenhüter“.
Zweitimpfung: Umstellung von Astrazeneca auf Biontech belastet die Praxen
„Für das Produkt von Biontech wurde mehr Impfstoff für die nächste Woche zugesagt. Wir gehen auch sicher davon aus, dass die Praxen die bestellten Mengen erhalten“, erklärte Oliver Funken. Durch den Wechsel von Astrazeneca auf Biontech würden die Hausärzte aber in diesen Tagen weniger Erstimpfungen als geplant durchführen können. „Die Umstellung bedeutet für die Praxen erneut einen kurzfristigen organisatorischen Aufwand.“
Außerdem haben sowohl die Arztpraxen als auch die Impfzentren in NRW immer mehr Ärger mit Patienten, die nicht zu den Terminen erscheinen und diese auch nicht absagen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte daher im WDR Geldstrafen für „Impfterminschwänzer“. Der Präsident der Roten Kreuzes in Berlin, Mario Czaja, plädierte für Strafen bis zu 30 Euro.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) lehnte dies ab: „Solidarität erzwingt man nicht durch Strafen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Entspannung in Praxen und Impfzentren
Das nervige Warten auf einen Impftermin irgendwann in ferner Zukunft hat ein Ende. „In vielen Teilen NRWs beträgt die Wartezeit für eine Biontech-Impfung jetzt zwei Wochen“, erzählt Holger Warnat, Geschäftsführer des Portals „impfpool.de“. Der Hausärzteverband Rheinland erklärt, Termine könnten oft schon innerhalb einer Woche vergeben werden. Ein Überblick über die Lage Anfang Juli:
Was geschieht in den Impfzentren?
Zumindest im Rheinland können Interessierte laut der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein jetzt auswählen, welchen Impfstoff sie haben möchten. Hintergrund ist die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), nach einer Astrazeneca-Impfung wegen der besseren Wirksamkeit vor der neuen Delta-Variante bei einer Zweitimpfung Biontech oder Moderna zu wählen. Eine Anmeldung bei der Terminbuchung für einen bestimmten Impfstoff ist nicht nötig. Astrazeneca-Impflinge werde aber darum gebeten, darauf zu verzichten, ihre Zweitimpfungstermine zu verschieben.
NRW erwartet für Juli viel mehr Impfstoff vom Bund. Es werden jetzt fortlaufend neue Termine in den Terminbuchungssystemen der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung gestellt, heißt es. Das gilt übrigens ab 5. Juli auch für Corona-Genesene, die einen Einzeltermin buchen möchten.
Wie bekomme ich einen Termin im Impfzentrum?
Personen ab 16 Jahren können Termine in einem Impfzentrum online über www.116117.de sowie telefonisch über 116 117 oder die zusätzliche Rufnummer je Landesteil (0800) 116 117 02 für Westfalen-Lippe und (0800) 116 117 01 für das Rheinland buchen. Für Kinder im Alter von 12 bis unter 16 Jahren sind die Kinder- oder Hausärzte zuständig.
Wie bewerten die Hausärzte die Lage?
„Impfstoff steht uns mehr und mehr zu Verfügung, so dass sich die Lage schon entspannt“, sagte Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. „Damit können wir zunehmend unsere Wartelisten abarbeiten.“ Die Nachfrage sei weiter groß, besonders unter jüngeren Patienten. Prognosen zu Wartezeiten gibt der Verband in diesem Landesteil nicht. Für die Hausärzte in Nordrhein sagte Dr. Oliver Funken: „Termine sind jetzt fast überall schnell zu bekommen.“ Innerhalb einer Woche sollte dies vielerorts möglich sein. Die Praxen ächzen aber unter dem Wechsel von Astrazeneca auf Biontech bei den Zweitimpfungen. Einmal mehr müssen sie kurzfristig auf Änderungen reagieren.
Was sagen Betriebsärzte?
In vielen Betrieben wurden die Impfwilligen längst versorgt. „Die Lage ist entspannt, der Bedarf wurde bedient“, sagt Dr. Jürgen Wentzek vom Verband der Betriebs- und Werksärzte in Westfalen-Lippe. Wentzek hat die Impfkampagne in einer großen Dortmunder Firma organisiert. 30 Prozent hätten das Angebot angenommen. Für den Arzt ein guter Wert, denn viele Beschäftigte hätten sich schon woanders impfen lassen.
Wie groß ist das Problem mit den „Impfschwänzern“?
Sehr groß. Jürgen Wentzek ist nicht nur Betriebsarzt, sondern gehört auch zum Leitungsteam des Impfzentrums in Unna. Das dortige Zentrum fahre „auf vollen Touren“, andere Zentren, insbesondere auf dem Land, hätten allerdings zum Teil Leerlauf, unter anderem, weil viele Personen, die gebucht haben, einfach nicht erscheinen. Laut der Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe fällt an manchen Tagen ein Drittel der Termine aus. Der Ruf nach Bußgeldern wird lauter.
Dieses Problem haben auch viele Hausärzte. Oliver Funken: „Es verfallen häufig Termine, weil Patienten mehrfach auf Wartelisten stehen und nicht jeder Praxis rückmelden, dass sie einen Termin bekommen haben. Die dadurch kurzfristig freiwerdenden Impfdosen versuchen die Ärzte dann durch spontane Terminvergaben und Aktionen zu verimpfen.“
Wer erhält den Impfstoff von Johnson & Johnson?
Dieses Produkt, bei dem eine Impfung für den vollen Schutz reicht, erhalten im Juli vor allem Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, Mitarbeiter in der Fleischindustrie, Beschäftigte in Paketdiensten und im Öffentlichen Nahverkehr, Reinigungskräfte, Prostituierte und Bewohner sozial benachteiligter Stadtteile.