Essen. Die Zahl der Genehmigungen nimmt seit Jahren zu. Vor allem fürs marode Straßennetz an Rhein und Ruhr wird das immer mehr zum Problem.

Es ist tief in der Nacht, als sich der Koloss mit seiner tonnenschweren Last in Bewegung setzt. Meter für Meter arbeitet sich der Schwertransport auf seinen 48 Achsen durch die Straßen der kleinen Gemeinde Kreuztal bei Siegen. Ziel der nächtlichen Tour ist das nur neun Kilometer entfernte Umspannwerk Altenkleusheim. Hier muss der Dortmunder Netzbetreiber Amprion einen seiner Transformatoren austauschen.

Gesamtgewicht 502 Tonnen

Das komplette Gespann mitsamt dem neuen 380.000-Volt-Trafo, einem Spezialkran, einer Zugmaschine vorn und einer, die von hinten schiebt, misst über 75 Meter und ist fast fünf Meter breit. Gesamtgewicht: 502 Tonnen. Stunden zuvor haben Spezialisten die Strecke präparieren müssen. Unter anderem musste eine Straßenbrücke mit einer stählernen Behelfsbrücke überbaut werden. Das Mauerwerk wäre andernfalls unweigerlich unter dem Gewicht des Transporters zusammengebrochen.

Zu langsam für die Autobahn

Keine Frage: Schwertransporter vom Ausmaß des Kreuztaler Trafo-Trucks gehören zu den eher seltenen Anblicken auf nordrhein-westfälischen Straßen. Transporte wie diese finden überwiegend in der Nacht statt und überwiegend abseits der Autobahnen, weil sie für Fernstraßen viel zu langsam sind. Dennoch: Ob ultraschwere Transformatoren, ausladende Windradrotorblätter, große Maschinen oder stattliche Betonelemente – die Zahl der genehmigten Schwertransporte in NRW nimmt seit Jahren zu.

100.000 Genehmigungen allein in Westfalen

Der Ausbau von Windenergie und Stromtrassen, aber auch die starke Präsenz von Industriebetrieben und Maschinenbauunternehmen an Rhein und Ruhr fordern hier ihren Tribut. „Die Zahl der Schwertransporte ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen“, sagt etwa Elfriede Sauerwein-Braksiek, Leiterin der auch für Teile von Niedersachsen und Hessen zuständigen Autobahn GmbH Westfalen und frühere Chefin von Straßen.NRW. Allein in diesem Jahr hat ihre Behörde schon knapp 100.000 Schwertransporte genehmigt.

Weitere 80.000 Genehmigungen erteilte die rheinische NRW-Filiale der Bundesgesellschaft. Auch das NRW-Verkehrsministerium bestätigt den Trend und weist daraufhin, dass Genehmigungen oft dauerhafter Natur sind und gleich für mehrere Fahrten gelten. Die tatsächliche Zahl der Schwer- und Großraumtransporte in NRW dürfte also deutlich höher liegen.

Schwerlast trifft auf marode Straßen

Der wachsende Schwerlastverkehr trifft dabei auf eine Infrastruktur, die nicht nur in die Jahre gekommen, sondern in weiten Teilen marode ist.  Das gilt in NRW besonders für die Brücken, wie zuletzt der spektakuläre Fall der A45-Talbrücke „Rahmede“ gezeigt hat. Anfang Dezember waren am Stahlträgerwerk des Bauwerks bei Lüdenscheid deutliche Verformungen festgestellt worden. Die Brücke ist seitdem komplett gesperrt. Die Sperrung trifft den Lebensnerv der ganzen Region.

Sauerlandlinie seit Jahren tabu

Für Schwerlasttransporte ist das Lüdenscheider Brückendrama dabei nicht einmal von Belang. Wegen der vielen maroden Brücken können Schwertransporte die „Sauerlandlinie“ schon seit Jahren nicht mehr nutzen. Darunter leidet insbesondere die starke Maschinenbau-Branche in Südwestfalen. Um etwa zu den Industrie-Häfen im Ruhrgebiet zu gelangen, müssen Ersatzrouten außerhalb der Autobahn gefunden und lange Umwege in Kauf genommen werden. „Eine große Herausforderung“ sei das, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek. „Geeignete Schwerlastrouten zu ermitteln, ist ein mühseliges Unterfangen. Wir haben dafür eigene Teams aufgebaut, die die Genehmigungen erteilen, die Fahrwege auf bauliche Belastbarkeit prüfen und die Verkehrslage bewerten“, so die Autobahn-Managerin.

Transporte dienen auch der Energiewende

Wie mühsam die Organisation von Schwertransporten ist, weiß man auch bei Amprion. 40 bis 50 Mal im Jahr schickt der Dortmunder Netzbetreiber Mega-Transporter los, um seine Umspannwerke auf dem neuesten Stand der Trafo-Technik zu halten. Derzeit tauscht Amprion in seinen 180 Umspannstationen systematisch ältere 220.000-Volt-Transformatoren gegen 380.000-Volt-Anlagen aus. Die höhere Spannungsebene werde auch im Zuge der Energiewende dringend gebraucht, sagt Amprion-Sprecher Andreas Preuß. Denn um den Strom über weitere Strecken durch die Leitungen schicken zu können, brauche es leistungsstärkerer Trafos.

Kosten bis zu 600.000 Euro

Amprion lässt seine Transformatoren möglichst über Wasser und über die Gleise transportierten. Das Brückenproblem betreffe allerdings auch den Bahnverkehr, sagt Preuß. Außerdem seien Umspannwerke oft nur über Straßen zu erreichen, die entsprechend präpariert werden müssten. Der Abbau von Schildern und Ampel ist dabei das geringste Problem. Eine große Herausforderung sind Kurven. Immer wieder muss Amprion Kreisverkehre überpflastern und gelegentlich sogar Grundstücke entlang einer Abbiegung aufkaufen. „Unsere Mitarbeiter vermessen die Wege buchstäblich mit dem Zollstock“, erzählt Preuß. Das kostet: Amprion kalkuliert mit 300.000 bis 600.000 Euro und einer Vorbereitungszeit von bis zu acht Jahren. Pro Transport.