Düsseldorf/Essen. Viele Eltern sind erleichtert, weil ihre Kinder wieder in die Kita können. Erzieherinnen befürchten weitere Infektionsrisiken.

Hunderttausende Kita-Kinder und Schüler kehren am heutigen Montag in NRW wieder in die Kitas beziehungsweise in den Unterricht zurück. Der Neustart wird durch eine Besorgnis erregende Entwicklung des Infektionsgeschehens überschattet. In NRW stieg der Inzidenzwert am Wochenende weiter auf 61 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in einer Woche.

„Die Stimmung der Kolleginnen und Kollegen schwankt zwischen Licht und Schatten. Sie freuen sich auf die Rückkehr der Kinder, sorgen sich aber sehr um den Infektionsschutz", sagte Barbara Nolte, Kita-Expertin des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in NRW, dieser Redaktion. Die NRW-Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, rechnet damit, dass die weitgehende Öffnung der Kitas wegen der vielerorts ausgedünnten Personaldecke die Einrichtungen vor eine „enorme Kraftanstrengung“ stellt.

"Land muss unser Infektionsrisiko anerkennen und reagieren“

Erzieherinnen und Tageseltern in NRW beklagen Lücken beim Gesundheitsschutz. „Das Land muss unser Infektionsrisiko anerkennen und reagieren“, mahnte Tanja Böttcher vom Netzwerk Kindertagespflege in NRW.

Die Bundesminister Jens Spahn (Gesundheit, CDU) und Anja Karliczek (Bildung, CDU) sowie mehrere Bundesländer dringen darauf, Erzieher und Lehrer wegen angesichts der unberechenbaren Pandemieentwicklung früher gegen das Coronavirus zu impfen. Mit einer Entscheidung wird in Kürze gerechnet. Auch NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) hat den Bund aufgefordert, die Impfreihenfolge zugunsten der Beschäftigten in der Kindertagesbetreuung und in Schulen zu verändern: „Das wäre ein Befreiungsschlag für unsere ganze Gesellschaft.“

Betreuung pauschal um zehn Wochenstunden eingeschränkt

Elternvertreter loben die Öffnung der Kitas. Daniela Heimann vom Landeselternbeirat in NRW sagte dieser Zeitung: „Damit kommen Eltern nun auch endlich aus der Rechtfertigungsecke, wenn sie ihr Kind in die Betreuung geben.“ Wegen der hohen Infektionszahlenraten allerdings Hagen und Wuppertal den Familien, Kinder weiterhin, wenn möglich, zu Hause zu betreuen.

Ab heute gilt in NRW in den Kitas landesweit ein „eingeschränkter Regelbetrieb“ mit pauschal um zehn Wochenstunden reduzierter Betreuung in festen Gruppen. Bisher hatte die Landesregierung den "dringenden Appell" an die Eltern gerichtet, Kinder daheim zu betreuen.

Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann-Stiftung, wies darauf hin, dass es sich nicht allein um eine Herausforderung für den Gesundheitsschutz handele. Erzieherinnen und Erzieher müssten jetzt außerdem eine enorme pädagogische Aufgabe bewältigen, da die Kinder eine lange Zeit der Isolation hinter sich hätten.

Hier ein Überblick über die wichtigsten Standpunkte:

Aufatmen bei den Eltern, Vorfreude beim Nachwuchs und gemischte Gefühle bei den Beschäftigten: Mit dem heutigen Montag können alle Kinder in NRW wieder ihre Kita oder die Tageseltern besuchen. Die Pandemie bestimmt den Alltag in den Einrichtungen aber weiterhin.

Was geschieht heute in den Kitas?

NRW hebt die meisten Einschränkungen bei der Tagesbetreuung auf. Familienminister Joachim Stamp (FDP) hat ein „Phasenmodell“ zur Öffnung der Kitas vorgestellt, das sich am Infektionsgeschehen orientiert. Heute beginnt ein „landesweit eingeschränkter Regelbetrieb“. Es gibt nur feste Gruppen, und die Betreuungszeit in Kitas bleibt um zehn Wochenstunden gekürzt. Elternvertreter erwarten keine vollen Gruppen: Es gebe einige Familien, die zunächst vorsichtig blieben, heißt es vom Landeselternbeirat. Bei den meisten Eltern überwiege aber die Erleichterung über den Neustart.

Wie geht es weiter?

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Sollten die Infektionszahlen sinken, strebt NRW ab 8. März einen „lokal eingeschränkten Regelbetrieb“ an. Gruppentrennung würde es weiterhin geben, allerdings könnten die Einrichtungen entscheiden, ob sie am verkürzten Betreuungsangebot festhalten. Die Gewerkschaft GEW hält diese Lockerung wegen der Arbeitsbelastung des Kita-Personals für kaum möglich.

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Barbara Nolte vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW rät zur Vorsicht: „Das Land muss zum 1. März prüfen, ob angesichts der Pandemieentwicklung und den personellen Ressourcen in den Einrichtungen ein weiterer Öffnungsschritt ab dem 8. März überhaupt möglich ist.“ Im Falle stark steigender Infektionszahlen würde das Land eine „Corona-Notbremse“ ziehen, so Stamp. Konsequenz: geschlossene Einrichtungen, nur Notbetreuung.

Welche Kinder sollten zu Hause bleiben?

Der Familienminister forderte die Eltern auf, Kinder mit Erkältungssymptomen nicht in die Kitas oder zu den Tageseltern zu bringen. Eltern sollten die Entscheidungen der Kita-Leitungen akzeptieren. Deren Entscheidungsgewalt endet aber, wenn Eltern eine ärztliche Bescheinigung zum möglichen Kita-Besuch des Kindes vorlegen. Daniela Heimann vom Landeselternbeirat unterstützt den Minister: „Eine Erkältungswelle ist das Letzte, was die Kitas jetzt noch brauchen.“

Kita-Träger rechnen mit Diskussionen vor Ort. Manche Familien stünden unter massivem Druck, sagt Daniela Surmann, die den Austausch der Kita-Träger innerhalb der Freien Wohlfahrt NRW koordiniert. „Die Sorgen der Beschäftigten und die Bedarfe der Familien zusammenzubringen, das ist eine Herausforderung“, so Surmann.

Sind die Beschäftigten und die Kinder gut geschützt?

NRW bietet dem Kita-Personal und Tageseltern bis Ostern wöchentlich zwei Coronatests an. Barbara Nolte vom VBE meint, das reiche nicht. „Wir begrüßen es sehr, dass mehr getestet werden soll. Aber hier fehlt die landesweite Strategie, wie dies konkret in den Einrichtungen auch stattfinden kann.“ Das Personal benötige außerdem eine oder zwei FFP2-Masken am Tag.

Auch Tageseltern fordern Nachbesserungen: Kinder mit Symptomen und Kontakt zu Infizierten müssten konsequent auf eine Corona-Infektion getestet werden und sollten zu Hause bleiben, wenn ein Geschwisterkind in Quarantäne ist, zählt Tanja Böttcher vom Netzwerk Kindertagespflege in NRW auf. „Wir sind gerne für alle Kinder da, aber wir blicken mit Sorge auf die vielen Kontaktkreise, die sich jetzt wieder ergeben“, so Böttcher. Die Schnelltests seien ein Schutz für die Kinder, nicht die Beschäftigten.

Wie gut sind die Kitas vorbereitet?

Kitas und Tagespflege sind pandemieerprobt. Auch im bisherigen Lockdown haben viele Familien ihre Kinder gebracht, bei manchen Trägern bis zu 70 Prozent. Wie gut der eingeschränkte Regelbetrieb nun gelingt, hängt nach Einschätzung der Träger vor allem von der sehr unterschiedlichen Personalsituation ab. Es gebe Einrichtungen ohne Probleme und solche mit dünner Personaldecke infolge der Pandemie, sagt Daniela Surmann von der Caritas in Münster: „Deshalb ist die Stundenreduzierung sehr wichtig.“ Die GEW spricht von einer „enormen Kraftanstrengung“.

Dass alles reibungslos klappt, glauben auch Eltern nicht: „Die Kinder kommen zum Teil nach einer langen Pause zurück, Gruppen müssen wieder zusammenfinden. Das wird die Erzieherinnen besonders fordern“, sagt Elternvertreterin Heimann.

Nolte vom VBE findet es „gut, dass es in NRW einen Phasenplan gibt, der die Entwicklung in beide Richtungen denkt, denn die Kinder und ihre Familien brauchen dringend geöffnete Kitas.“ Leider fehlten im Phasenplan konkretere Kriterien jenseits von „steigendes oder fallendes Infektionsgeschehen“.