Berlin. .

Sie genießen beim Volk Narrenfreiheit, werfen ihre Prinzipien über Bord, protestieren und stehen für nichts mehr ein. Auf ihrem Bundesparteitag, der heute in Freiburg startet, wollen die Grünen zeigen, dass sie keine Dagegen-Partei sind. Sondern eine Dafür-Partei.

Dafür und dagegen liegen in diesen Tagen bei den Grünen allerdings eng beieinander. Vor wenigen Jahren noch, als Regierungspartei in Berlin, verteidigten sie die Castor-Transporte, nun protestieren Spitzengrüne wie Fraktionschef Jürgen Trittin im Wendland. Ebenso unter die rot-grüne Ägide fällt die Praxisgebühr, die die Partei nun wieder abschaffen will.

Noch größer sind die Differenzen zwischen dem, wofür die Grünen im Bund stehen, und dem, was im Land ge­schieht. Die Ökopartei sieht sich als d i e Bahnpartei – und stemmt sich gegen den Neubau der Strecke Ulm-Wendlingen im Schwabenland. Ganz zu schweigen von „Stuttgart 21“, wo die Grünen an der Spitze des Protests marschieren.

Gegen Stromtrassen und Pumpspeicherwerk

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist Herzstück der Grünen-Agenda – doch in der schönen Wesermarsch ziehen Grüne vor Ort gegen ein Um­spannwerk für Stromtrassen zu Felde und im Schwarzwald gegen den Bau des größten deutschen Pumpspeicherwerks.

In der Wählergunst schadet diese Politik gegen die eigenen Standpunkte nicht. „Der Wähler ist genauso wie die Grünen. Er schwankt zwischen Gutmensch und seinen eigenen Interessen“, sagt der Chef des Meinungsforschungs-Instituts Emnid, Klaus-Peter Schöppner. Er nennt die Grünen eine „Bürgerverstehpartei“. Sie wür­den als die Partei wahrgenommen, die am ehesten die kurzfristigen Bürgerinteressen versteht. Das Kompetenzprofil der Grünen findet Schöpp­ner aber „verheerend“. Nach wie vor werde die Partei vor allem als Ökopartei betrachtet. Was Wirtschaft oder innere Sicherheit angehe, würden die Grünen vom Wähler nicht ernst genommen. Daher könne der grüne Höhenflug schnell beendet sein – und die Umfragewerte sich auf Hamburger Niveau einpendeln.

Studiengebühren in Hamburg gegen ihren Willen

Dort regieren die Grünen, mussten Elbvertiefung, ein Kohlekraftwerk und Studiengebühren gegen ihren Willen schlucken und liegen nun bei etwa zwölf Prozent. Dass sich die Umfrageergebnisse in Luft auflösen wie flüchtiger Schnaps – um im Duktus von Parteichef Cem Özdemir zu bleiben —, soll der Arbeitsparteitag an diesem Wochenende verhindern.

Debatten zum Umfragehoch scheut die Partei, gleichwohl werden sie neben der Tagesordnung ein dauerpräsentes Thema sein: Seht her, wir sonnen uns nicht im Umfragehoch, sondern schuften wie die Ackergäule – diese Botschaft soll vom Parteitag ausgehen, der gleichzeitig als Startschuss für den Wahlmarathon 2011 gilt.

Nach der Laufzeitverlängerung für die Atommeiler durch Schwarz-Gelb präsentieren die Grünen ihr eigenes Energiekonzept. 100 Prozent Ökostrom bis 2030, Aus für die längeren Laufzeiten wenn möglich, Auflösung des „Energiekartells“ und der unterirdische Netzausbau gehören zu den Kernforderungen des 14-seitigen Papiers. Weitere Debattenschwerpunkte sind die klamme Lage der Kommunen, Integration, „Stuttgart 21“ und eine grüne Gesundheitspolitik – mit einer Bürgerversicherung als Kernelement.

Streitthema Rente

Munter zugehen dürfte es bei der Rente mit 67. Der Kreisverband Göttingen fordert in einem Antrag die Abschaffung, der Antrag anderer Ortsverbände befürwortet diese. Auch die Vorstandswahlen sind nicht ohne Brisanz. Die Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir sind zwar gesetzt, Gegenkandidaten gibt es ohnehin keine. Nur bei den Beisitzern gibt es mehr Kandidaten als Plätze. Am Ende könnte es darauf hinauslaufen, dass mit Cem Özdemir der einzige Realo noch im Vorstand verbleibt.