Berlin/Washington. Vertreter westlicher Geheimdienste vermuten im jemenitischen Geiseldrama eine «Machtdemonstration» von Al-Qaida. Es könne auch sein, dass die Gewalttäter «im Auftrag» von Al-Qaida handelten, hieß es. Jemenitische Sicherheitskräfte versuchen, gegen das Terrornetzwerk vorzugehen.

Im Jemen fahre Al-Quaida eine ähnliche Strategie wie in Somalia, vermuten Vertreter westlicher Geheimdienste: «Es sieht so aus, als ob die islamistischen Terroristen mit ihrem brutalen Vorgehen gegen die Entführten beweisen wollten, dass sie nach dem ostafrikanischen Somalia jetzt auch den Jemen am Südzipfel der arabischen Halbinsel beherrschen», lauteten die Vermutungen am Mittwoch übereinstimmend aus Berlin und Washington. Al-Qaida habe sich im Jemen wie in Somalia mit kriminellen Banden und aufständischen Stämmen verbündet, um chaotische Verhältnisse herbeizuführen. Es könne auch sein, dass die Gewalttäter «im Auftrag» von Al-Qaida gehandelt haben, hieß es.

Kriegerische Auseinandersetzungen im Norden

Im Norden des Jemen ist die Regierung unter Staatspräsident Ali Abdullah Saleh seit langem in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Houthi-Rebellen verstrickt, im Süden wird der Ruf nach Unabhängigkeit ständig lauter. Saleh hat schon davor gewarnt, dass im Jemen somalische Verhältnisse entstehen könnten und das Land in mehrere Teile auseinanderfalle. «Das ist der richtige Nährboden für Al-Qaida», meinte ein Angehöriger des amerikanischen Geheimdienstes CIA in Washington. Osama Bin Laden strecke seine Hände «umfassend» immer weiter von den östlichen Regionen Pakistan und Afghanistan nach Westen aus.

Sicherheitskräfte versuchen gegen Al-Quaida vorzugehen

Aiman al-Sawahiri, der Stellvertreter Bin Ladens, hatte erst kürzlich in einer Online-Audio-Botschaft Präsident Saleh als «Verräter seiner Religion» und «Agent der USA» beschimpft. Saleh ist seit jeher treuer Verbündeter der USA im Anti-Terror-Kampf. Die westlichen Geheimdienste horchten auf, als sich im vergangenen Jahr der jemenitische und der saudi-arabische Arm von Al-Qaida zu «Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel» verbündeten. Umgehend wurden von den Terroristen Anschläge auf Touristen und ausländische Einrichtungen auf jemenitischem und saudi-arabischem Boden angekündigt. Jemenitische Sicherheitskräfte versuchen gegen die Kämpfer der Al-Qaida vorzugehen.

Entführung möglicherweise ein "Racheakt".

Im März hatte das jemenitische Innenministerium bekannt gegeben, dass es gelungen sei, den saudi-arabischen Staatsangehörigen Abdurrahman al-Harbi nach einer mehrere Tage dauernden Jagd festzunehmen. Der Saudi wird als einer der führenden Köpfe von Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel angesehen. Er steht auf der Liste der 85 gefährlichsten Terroristen Saudi-Arabiens und des Jemen. Erst am letzten Sonntag konnte einer der Finanzchefs des islamistischen Terrornetzwerkes auf arabischem Boden, Hassan Hussein Alwana, verhaftet werden. Möglicherweise sei die Entführung der Deutschen und anderen Ausländer auch ein «Racheakt» für das Vorgehen der Jemeniten gegen die islamistischen Terroristen, gaben Geheimdienstler zu bedenken.

Viele Terroristen fassen im Grenzgebiet Fuß

Aus den Nachrichtendiensten war auch zu erfahren, dass es nach den Beobachtungen Al-Qaida gelungen ist, gerade an der Grenze des Jemen zu Saudi-Arabien ein «festes Gebiet» wie an der Grenze von Afghanistan zu Pakistan aufzubauen. Viele Terroristen hätten hier Fuß gefasst und würden wie im pakistanischen Waziristan von den heimischen Stämmen geschützt. Das jemenitische Bergland, das schon im Altertum eine Hochkultur war, sei jetzt zum Anziehungspunkt für islamistische Terroristen geworden, stellten die westlichen Experten fest. Neben einigen Anschlägen in der Hauptstadt Sanaa im letzten Jahr würden die professionell ausgeführten Attentate der vergangenen Monate die «professionelle Handschrift» der Al-Qaida tragen, sagte ein CIA-Mann.

Jemen ist schon seit 2000 im Visier von Al-Quaida

Zwei Anschläge mit 18 Toten auf das amerikanische Kriegsschiff «USS Cole» und den französischen Öltanker «Limbourg» hatten schon 2000 und 2001 gezeigt, wie Al-Qaida den Jemen ins Visier genommen hatte. Die Geheimdienstler befürchten, dass bei der Entwicklung, die sich jetzt «vehement» abzeichnet, der Jemen genauso ins Chaos stürzt wie Somalia. Schon jetzt gibt es im Jemen ganze Regionen, die der Regierung in Sanaa völlig entglitten sind. «Die Parallelen zu Afghanistan und Pakistan sind unverkennbar», erläuterte ein Geheimdienstexperte in Berlin. (ddp)