Paris. .
Der Protest gegen die Rentenreform in Frankreich droht zu eskalieren. Autos brennen, schwerbewaffnete Polizisten liefern sich Straßenschlachten mit vermummten Krawallmachern. Präsident Nicolas Sarkozy bleibt hart.
Die Bilder rufen schreckliche Erinnerungen wach an die Unruhen in der Pariser Banlieue vor fünf Jahren: Umgestürzte Autos gehen in den Vorstädten in Flammen auf und Schaufensterscheiben zu Bruch. Schwerbewaffnete Polizisten liefern sich Straßenschlachten mit vermummten Krawallmachern, Tausende Jugendliche ziehen Tag für Tag durch Frankreichs Städte. Der friedliche Protest gegen Nicolas Sarkozys umstrittene Rentenreform droht auf dramatische Weise zu entgleisen. Lähmendes Entsetzen macht sich breit – nicht nur in der Regierung, sondern auch bei den Gewerkschaften.
In Nanterre bei Paris, das seit den Unruhen des Pariser Mai 1968 einen legendären Ruf genießt, boykottieren Schüler des „Lycée Jolio-Curie“ am Montag den Unterricht und ziehen auf die Straße. Dann, am Nachmittag, eskaliert der Konflikt mit der Einsatzhundertschaft. Fünf umgekippte Autos gehen in Flammen auf und brennen völlig aus. Fäuste und Steine fliegen auch anderswo. In Lyon ziehen über Tausend Schüler friedlich durch die Stadt, doch dann mischen sich einige Dutzend vermummte Randalierer unter die Menge. Autos kippen um, Schaufensterscheiben klirren, auch hier wird die Lage explodieren. So wie in Nantes, wo ebenfalls Autos in Flammen aufgehen. Wie in Montpellier, wo die Polizei die Schäden auf 200.000 Euro beziffert. Wie in Combs-la-Ville (Département Seine-et-Marne), wo vor der Oberschule „Jacques-Prèvot“ ein Polizist von Steinen und Molotow-Cocktails getroffen und verletzt wird. Vergleichsweise harmlos verläuft die Aktion am Pariser Triumphbogen, Hunderte Schüler treffen sich hier zum Sit-In auf dem Prachtboulevard Champs-Elysées.
Jede zehnte Rente auf Pump
Auch wenn die Sicherheitskräfte und ihre Einsatzleiter demonstrativ vorgeben, die Lage im Griff zu haben: Hinter den Kulissen brodelt es. „Natürlich befürchte ich, dass die Situation eskaliert“, gesteht Nicolas Sarkozy am Rande des deutsch-französisch-russischen Gipfeltreffens im Nobelbadeort Deauville. Im selben Atemzug bekennt sich der Staatschef mit dem Hinweis auf die leeren Rentenkassen zu seiner Unnachgiebigkeit: „Die Rentenreform ist viel zu oft verschoben worden, jetzt ist die Zeit gekommen.“ Sarkozys Angaben zufolge werde schon heute jede zehnte Rente auf Pump finanziert.
Frankreich erlebt an diesem Dienstag bereits den sechsten nationalen Streiktag seit der Sommerpause. Ein Land im Leerlauf: Wieder fallen im ganzen Land Züge und Flüge fallen aus, Hunderttausende kommen zu spät zur Arbeit. Wieder sind Hunderte Schulen und etliche Universitäten dicht. Die Gewerkschaften berichten am frühen Nachmittag triumphierend von weit über einer Million Demonstranten. Vielerorts flammen die Schülerproteste am Dienstag wieder auf – wie etwa in Nanterre, wo abermals Autos brennen.
Benzinknappheit wird bedrohlich
Die Zeitung „Le Parisien“ enthüllt, dass das Pariser Innenministerium inzwischen ein nationales Krisenzentrum eingerichtet hat. Über tausend Randalierer hat die Polizei in den letzten Tagen zwischenzeitlich aus dem Verkehr ziehen lassen.
Weil der Streik seit Tagen auch die Raffinerien und Treibstoff-Depots erfasst, wird die Benzinknappheit immer bedrohlicher. Sie trifft laut Regierung mittlerweile ein Drittel der hundert Départements, 1000 bis 1500 Tankstellen sind zurzeit „ausgetrocknet“. An vielen Orten ist Dieselkraftstoff nicht mehr erhältlich. Beruhigend immerhin: Premierminister François Fillon verspricht bis zum Wochenende eine spürbare Normalisierung.