Berlin. .
Bundespräsident Wulff reist heute zu einem viertägigen Staatsbesuch in die Türkei. Grünen-Chef Cem Özdemir hat Wulff aufgefordert, konstruktiv über Integration zu reden und sich von „Rechtspopulisten“ wie CSU-Chef Horst Seehofer zu distanzieren.
Bundespräsident Wulff reist heute zu einem viertägigen Staatsbesuch in die Türkei. In Ankara führt er morgen mit seinem Amtskollegen Gül und mit Ministerpräsident Erdogan Gespräche. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt wird Wulff, der von seiner Frau Bettina und einer Wirtschaftsdelegation begleitet wird, vor der türkischen Nationalversammlung eine Rede halten. Zuletzt hatte Bundespräsident Johannes Rau dem Land vor zehn Jahren einen Staatsbesuch abgestattet. Bei dem Staatsbesuch, der bereits von Wulffs zurückgetretenem Vorgänger Köhler vereinbart worden war, werde die Religionsfrage eine wichtige Rolle spielen, hieß es aus dem Bundespräsidialamt.
99 Prozent der über 70 Millionen Türken sind Muslime. Die kleine christlichen Minderheit muss mit Schikanen leben. Wulff, der bei seiner Rede zur deutschen Einheit gesagt hatte, dass auch der Islam zu Deutschland gehört, will sich nun am Bosporus für die Rechte der rund 100.000 Christen einsetzen. Geplant sind unter anderem Unterredungen mit dem Vorsitzenden der türkische Religionsbehörde Diyanet, Bardakoglu und mit Würdenträgern aller christlichen Kirchen. In Istanbul will Wulff den Grundstein für die Deutsch-Türkische Universität legen.
Özdemir: Wulff soll sich von „Rechtspopulist“ Seehofer distanzieren
Grünen-Chef Cem Özdemir hat Bundespräsident Christian Wulff aufgefordert, seinen Staatsbesuch in der Türkei dazu zu nutzen, konstruktiv über Integration zu reden und sich von „Rechtspopulisten“ wie CSU-Chef Horst Seehofer zu distanzieren. Dem „Hamburger Abendblatt“ sagte Özdemir, die bisherigen Äußerungen Wulffs könnten bei diesem Dialog behilflich sein. Der Bundespräsident habe für sein Bekenntnis zur Einbürgerung von Menschen mit muslimischem Hintergrund zu Recht viel Anerkennung in der Türkei erfahren.
Auch die aktuellen Äußerungen des türkischen Präsidenten Abdullah Gül und des türkischen Europaministers Egemen Bagis seien gute Beiträge für einen konstruktiven deutsch-türkischen Dialog zur Integration gewesen, sagte Özdemir der Zeitung weiter. Der Bundespräsident habe nun die Gelegenheit, diesen Dialog zu vertiefen. „Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass Christian Wulff deutlich macht: Die Integrationsdebatte in Deutschland wird nicht von den Rechtspopulisten Seehofer und Sarrazin dominiert, sondern von einem parteiübergreifenden Interesse an einer rationalen Debatte um die beste Integrationspolitik.“
Mehr Türken zurückgekehrt als eingewandert
Seehofer hatte in einer Rede vor der Jungen Union in Potsdam gesagt: „Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein. Multikulti ist tot.“ In einem vom Magazin „Focus“ veröffentlichten Sieben-Punkte-Plan beharrte der bayerische Ministerpräsident darauf, dass „Deutschland kein Zuwanderungsland“ sei. Auch ein prognostizierter Fachkräftemangel könne „kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein“.
Der integrationspolitische Sprecher der SPD, Rüdiger Veit, sagte dem „Hamburger Abendblatt“: „Angesichts der unverständlichen Äußerungen von Horst Seehofer sollte Wulff den Türken sagen, dass sie hier in Deutschland willkommen sind.“ Die derzeitige Integrationsdebatte werde nicht auf Basis von Fakten geführt, kritisierte Veit. „Eine Panik vor einem Zuviel an Zuwanderung ist unangebracht, wenn man sieht, dass die Zahl der Türken, die von Deutschland in ihre türkische Heimat zurückgegangen ist, im letzten Jahr um 9000 Personen höher lag als die Zahl der Türken, die nach Deutschland gekommen sind.“
Mehrheit der Deutschen gegen EU-Beitritt der Türkei
Laut einer Umfrage der „Bild“-Zeitung soll Wulff nach Meinung der Bundesbürger der Türkei keinerlei Hoffnung auf einen baldigen EU-Beitritt machen. Zu diesem Ergebnis komme eine online-gestützte Repräsentativumfrage des Instituts YouGov. Auf die Frage „Sollte der Bundespräsident der Türkei Hoffnung auf einen EU-Beitritt in absehbarer Zeit machen?“ hätten 72,5 Prozent der Befragten mit Nein geantwortet, nur 13,2 Prozent mit Ja. (dapd/afp)