Brüssel. .

Die Bundesregierung hat erstmals ihre Zustimmung zu der geplanten NATO-Raketenabwehr für Europa signalisiert. Das Bündnis setzt in der neuen Strategie auf Sicherheit durch Raketenschild und Atomwaffen.

Die Bundesregierung hat sich für den von den USA geplanten Raketenabwehrschild in Europa ausgesprochen. „Wir halten den Raketenschirm grundsätzlich für eine gute Idee, glauben aber auch, dass Punkte wie Abrüstung durchaus eine wesentliche Komponente sein sollten“, sagte Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg am Donnerstag vor dem Treffen der Nato-Verteidigungs- und Außenminister in Brüssel.

Die Ressortchefs bereiten den Nato-Gipfel vor, der im November in Lissabon stattfindet. Dort soll entschieden werden, ob das ursprünglich nur von der US-Regierung geplante Abwehrsystem ein Projekt aller 28 Nato-Staaten wird. Deutschland setzt sich zugleich für einen Abbau der taktischen Nuklearwaffen in Europa ein.

Die USA wollen bis zum Jahr 2018 alle europäischen Nato-Länder in ein Netz von Raketenabwehrsystemen einbeziehen, das vor allem Angriffe aus dem Iran abwehren könnte. US-Präsident Barack Obama hatte vor rund einem Jahr das Vorhaben seines Vorgängers George W. Bush gestoppt, der in Polen und Tschechien Teile eines rein amerikanischen Abwehrsystems stationieren wollte. Nun sollen nicht nur alle anderen Nato-Staaten, sondern auch Russland am Raketenschild beteiligt werden.

Die Knackpunkte der neuen NATO-Strategie

Die Außen- und Verteidigungsminister der NATO beraten am Donnerstag in Brüssel über die neue Bündnis-Strategie für das kommende Jahrzehnt. Die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedsländer sollen das Konzept am 19. und 20. November auf ihrem Gipfel in Lissabon beschließen. Im Folgenden ein Überblick über die Knackpunkte:

Wofür braucht die NATO eine neue Strategie?

Die neue Strategie soll das alte Strategische Konzept von 1999 ablösen, das der Zeit nach dem Kalten Krieg verhaftet ist und nur auf 16 Mitgliedsländer ausgelegt war. Die NATO will damit auf neuartige Bedrohungen reagieren wie Angriffe von Terroristen, von Hackern aus dem Internet und Raketen aus dem Iran.

Worauf fußt die neue Strategie?

Grundprinzip bleibt die kollektive Verteidigung nach Artikel fünf des Nordatlantik-Vertrags von 1949. Ein bewaffneter Angriff auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten ist demnach ein Angriff auf alle. Diesen Bündnisfall hat die NATO erst ein einziges Mal ausgerufen: Nach den Terrorangriffen auf die USA vom 11. September 2001. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen schließt nicht aus, dass auch Cyber-Angriffe aus dem Internet künftig zum Bündnisfall werden könnten. Länder wie Deutschland lehnen dies ab.

Wie soll Europa geschützt werden?

Die USA wollen mit NATO-Beteiligung einen Raketenschirm aufbauen. Dieser könnte nach US-Angaben weite Teile Europas vor Mittelstreckenraketen aus dem Iran schützen. Kosten und Sinn des Projekts sind umstritten: Zu geschätzten 200 Millionen Euro für die Anbindung Europas an die US-Raketenabwehr dürften Milliarden für neue Abfangsysteme in den einzelnen Ländern kommen. Ohne einstimmigen NATO-Beschluss wollen die USA das System im Alleingang mit Ländern wie Polen, Tschechien, Rumänien und der Türkei aufbauen.

Werden die Atomwaffen aus Europa abgezogen?

Nein. Das Prinzip der nuklearen Abschreckung bleibt. Auch die Bundestags-Forderung nach einem Abzug der rund 20 in Deutschland stationierten US-Sprengköpfe wird vorerst nicht erfüllt. Allerdings will die NATO unter anderem auf Drängen Berlins erstmals einen Ausschuss zur nuklearen Abrüstung einsetzen. Im Strategischen Konzept soll allgemein auf das Ziel einer atomwaffenfreien Welt verwiesen werden. Spannungen gibt es mit der Atommacht Frankreich, die einen Eingriff in ihre „Force de frappe“ fürchtet.

Welches Verhältnis zu Russland strebt die NATO an?

Viele osteuropäische Bündnisländer sehen in Moskau eine Bedrohung. Zur Annäherung ist Russland zum NATO-Gipfel in Lissabon eingeladen. Eine Antwort steht aber noch aus. Auch auf das US-Angebot einer Beteiligung an dem Raketenschirm hat der Kreml bisher nicht reagiert.

Wird es auch künftig Großeinsätze wie in Afghanistan geben?

Die NATO will die Lehren aus dem blutigen Afghanistan-Einsatz mit mehr als 2000 getöteten Soldaten ziehen. Die Verantwortung soll bis 2014 schrittweise an die Afghanen übergehen. Dennoch schließt die NATO ähnliche Einsätze auch in Zukunft nicht völlig aus. (afp)