Brüssel. Diese Woche feiert die Nato ihr 60-jähriges Jubiläum. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges hat das westliche Verteidigungsbündnis noch keine neue Rolle für sich gefunden und auch der Einsatz in Afghanistan ist bisher nicht von Erfolg gekrönt. Nun hofft man auf Barack Obama.
In dieser Woche werden sie diesseits und jenseits des Rheins die Siegermacht des Kalten Krieges hochleben lassen. Sie werden weit von sich weisen, dass die Nato mit 60 Jahren ein Auslaufmodell ist. Sie werden sagen, dass unsere Welt aus den Fugen geraten ist und der Militärallianz einen unerschöpflichen globalen Markt zur Bekämpfung von Risiken und Gefahren bietet.
Daseinszweck hat sich überlebt
Mit der Welt von heute hat der einstige Daseinseinszweck der Nato nichts gemein: Sie war 1949 nach der berüchtigten Definition ihres ersten Generalsekretärs Lord Ismay geschaffen worden, um die Russen raus-, die Deutschen am Boden und die USA in Europa zu halten. Ohne einen Schuss abzugeben, überstand die Nato das durchaus gefährliche Gleichgewicht des Schreckens zweier hochgerüsteter Blöcke.
Das sollte sich mit dem Übergang von einem klassischen Verteidigungsbündnis für Westeuropa zu einem Interventions- und Sicherheitsbündnis für ganz Europa ändern – spätestens in der Balkankrise zogen Nato-Soldaten zum ersten Mal in den Krieg. Deutschland wurde dabei von einem Konsumenten zu einem Produzenten von Sicherheit – militärisch kann sich das bevölkerungsreichste und reichste Land in der Mitte Europas längst nicht mehr weltweiten Konflikten entziehen.
Bündnisfall nach dem 11. September
Seit dem Anschlag islamistischer Terroristen auf das World Trade Center in New York am 2. September 2001 hat sich die Nato zu einem globalen Interventionsbündnis gewandelt. Seither gilt erstmals der Bündnisfall nach Artikel 5 des Vertrages, der seine Mitglieder zum Beistand verpflichtet, wenn eines von ihnen angegriffen wird.
Der Schauplatz des Bündnisfalles ist nicht Amerika, sondern Afghanistan. Dort führt der Löwenanteil der 70 000 weltweit operierenden Nato-Soldaten aus nahezu allen 28 Mitgliedsstaaten einen Anti-Terror-Krieg, der militärisch nicht zu gewinnen ist. Der Hindukusch, weiß aber auch der neue US-Präsident Barack Obama, wird zum „Lackmustest“ für den Zusammenhalt der Nato. Und um den steht es nicht gut.
Widersprüchliche Denkschulen
Es sind nicht die immerwährenden Reibereien im Bündnis um eine gerechte Lastenverteilung oder um unzureichende Ausrüstung. Es sind die widersprüchlichen Denkschulen, die die Nato auseinander driften lassen: Unter Bush nutzten die USA das Bündnis als Werkzeug zur Ausdehnung ihres Einflusses in Osteuropa und Zentralasien sowie zur Einhegung Russlands in den Denkschemen des Kalten Krieges. Im Irak-Krieg wurde die Nato zu einem Instrumentenkasten globaler Intervention, aus dem sich die USA bedienten, weil sie westliche Interessen bedroht wähnten.
Während die neuen Nato-Staaten in Osteuropa ihre Sicherheitsbedürfnisse aus historischen Gründen gegen Russland definieren, sind die westeuropäischen Mitglieder auf Ausgleich und Kopperation mit Russland bedacht. Der Streit verschärfte sich mit der Absicht Bushs, in Polen und Tschechien Komponenten einer US-Raketenabwehr zu installieren und die Nato um die Ukraine und Georgien zu erweitern.
Überforderter Generalsekretär
Mangel an Geschlossenheit, ein beschädigtes Verhältnis zu Russland, eine über Jahre vernachlässigte Rüstungskontrolle und Abrüstung – die Nato dümpelt unter dem völlig überforderten Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, den sie in Brüssel „Bushs Pudel“ nennen, vor sich hin. Kein Wunder, dass die öffentliche Zustimmung schwindet und die Zweifel am Sinn der Auslandseinsätze wachsen.
Kein leichtes Erbe für Obama, der beim Jubiläumsgipfel der Allianz Führung und Perspektive geben soll. Die Signale aus Washington sind hoffnungsvoll: Der Präsident drängt auf eine neue Strategie in Afghanistan, die dem wirtschaftlichen Aufbau Vorrang einräumen soll. Er hat den Reset-Knopf in den Beziehungen zu Russland gedrückt und sucht einen neuen Start in Sachen Abrüstung. Damit werden der Raketenschild und die Erweiterung um Georgien und die Ukraine auf die lange Bank geschoben, weil die Nato sich nicht ungelöste innere Konflikte ins Haus holen will.
Obama braucht die Nato. Er bleibt hart in der Vertretung amerikanischer Interessen. Er ändert aber nicht nur die Tonlage, sondern auch die politischen Inhalte.