Berlin. Die USA wollen ab 2011 Abfangraketen auf dem Schwarzen Meer und dann auch auf US-Stützpunkten in Rumänien, Polen und Bulgarien stationieren. In Russland stoßen die Pläne der US-Regierung auf heftige Kritik. Außenminister Lawrow drohte, den neuen START-Vertrag scheitern zu lassen.
Die neue amerikanische Nuklearstrategie, den atomaren Ersteinsatz nur unter eingeschränkten Bedingungen zu ermöglichen und vor allem der in Prag von den Präsidenten Russlands und der USA unterzeichnete Vertrag zur Reduzierung der strategischen Atomwaffen verleihen Barack Obamas kühner Vision zwar einige Schubkraft. Aber die US-Pläne für eine Raketenabwehr in Europa bleiben ein lästiger Zankapfel im Raketenschach zwischen Washington und Moskau.
Bedrohung für Europa
Reichlich verfrüht pries Kanzlerin Angela Merkel den Verzicht Obamas auf die Stationierung eines Raketenschildes in Polen und Tschechien als „hoffnungsvolles Signal, die Schwierigkeiten mit Russland zu überwinden“. Dies war eine „Fehlwahrnehmung“, stellt US-NATO-Botschafter Ivo Daalder kühl fest, „der Präsident hatte nicht eine etwaige Beschwichtigung Russlands im Sinn“. In der Tat hat Obama die umstrittenen Pläne seines Vorgängers lediglich neu bewerten lassen und kam zu dem Schluss, dass die iranischen Kurz- und Mittelstreckenraketen inzwischen eine größere Bedrohung für Europa und den Nahen Osten sind als weiterreichende Interkontinentalraketen, die das amerikanische Festland erreichen.
Von 2011 sollen deshalb Abfangraketen vom Typ SM-3 auf dem Schwarzen Meer und später auch auf US-Stützpunkten in Rumänien, Polen und Bulgarien stationiert werden. In Moskau lösten diese Pläne heftigen Ärger aus – nicht weil von den neuen Systemen eine Bedrohung ausgeht, sondern weil einstige Verbündete der untergegangenen Sowjetunion so eilfertig diesem Projekt beisprangen: „Wenn diese schlagkräftigen Waffen in der Nähe des Schwarzen Meeres auftauchen“, zürnt Konstantin Kosatschew, Chef des Auswärtigen Ausschusses in der Duma, „wird die regionale Machtbalance völlig außer Kraft gesetzt“. Außenminister Sergej Lawrow drohte gar, den neuen START-Vertrag an Obamas neuen Raketenplänen scheitern zu lassen.
Gemeinsame Raketenabwehr
Hinter den grollenden Tönen verbirgt sich der Frust im Kreml, von den USA nicht als „vollwertiger und gleichberechtigter Partner“ (Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogoschin) an den Raketenplänen beteiligt zu werden. Denn mittelfristig, wenn leistungsfähigere SM-3-Raketen auch Langstreckenraketen abfangen können, sieht Moskau seine nukleare Zweitschlagfähigkeit bedroht. Experten wie Oliver Thränert von der Stiftung Wissenschaft und Politik plädieren denn auch für eine Beteiligung Russlands an einer gemeinsamen Raketenabwehr. Doch den Kooperationsofferten aus Moskau haben US-Militärs bislang die kalte Schulter gezeigt.
Hier ist neues Denken zur Abwehr gemeinsam wahrgenommener Gefahren angesagt. Denn die Raketenabwehr hätte den zusätzlichen Vorteil, die noch in Europa stationierten US-Atomwaffen überflüssig zu machen. Darüber immerhin wollen Washington und Moskau nun verhandeln.