Berlin. Im Interview spricht der Innenminister über die große Koalition und das Demokratieverständnis der Deutschen, mögliche Regierungsbündnisse und darüber, dass sich die Präsidenten-Kandidatin der SPD seiner Meinung nach gerade selbst demontiert.
An seinem Schreibtisch im 13. Stock eines schmucklosen Bürobaus in Moabit sitzt Wolfgang Schäuble und hat den Durchblick. Hier ist er der Chef, sein Büro ist das Schönste. Halb rund, bodentiefe Fenster, ein atemberaubender Blick vom Teufelsberg weit im Westen bis zum kühl-modernen Potsdamer Platz im Osten.
Wir treten ein, der Minister sitzt am Schreibtisch, vor sich ein paar Akten, ein Grundgesetz im Miniformat, um ihn herum nicht nur Deutschland- und Europafahne, sondern auch die der 16 Bundesländer - Letzteres auf seine Veranlassung hin.
An der Wand ein großformatiger Immendorff: „Verwegenheit stiften”. Von wegen. Schäuble wendet seinen Rolli, greift nach seinem Sakko. „Lassen Sie mal”, rufen wir. „Wir ziehen unsere Jackets aus, dann beschwert sich auch niemand bei Ihnen.” Eine Sekretärin trägt Kaffee und Wasser herein, und los gehts.
Herr Schäuble, war die große Koalition gut für Deutschland?
Schäuble: Diese Regierung hat gute Arbeit geleistet. Sie hat - bis zur Finanzkrise - die Zahl der Arbeitslosen reduziert und die Verschuldung zurückgeführt. Das ändert aber nichts daran, dass eine große Koalition die Abweichung von der Norm ist.
Wir haben keine normalen Zeiten, die kommen so schnell nicht wieder. Warum machen Sie nicht weiter? Das deutsche Volk ist auch unserer Meinung...
Schäuble: Das weiß ich schon. Es gibt in Umfragen schnell eine Mehrheit, die im Grunde den politischen Wettbewerb nicht schätzt. Parteienstreit ist negativ belegt. Das Problem in einer großen Koalition ist, dass beide um die Position der Nummer eins ringen, anders als in einer kleinen Koalition...
...wo klarer ist, wer Koch und Kellner ist.
Schäuble: Man ist jedenfalls nicht immer versucht, sich gegenseitig den Erfolg zu missgönnen.
Was hätte Deutschland von Schwarz-Gelb, wo ist die Vision, was wird dann besser?
Schäuble: Wir werden besser in der Lage sein, Deutschland im globalen Wettbewerb zu positionieren, eine Politik der sozialen Marktwirtschaft zu machen und auf Forschung, Innovation und Investition zu setzen.
Das kaufen wir Ihnen nicht ab. Bei der Gentechnik hat die CSU einen Fortschritt verhindert. Warum sollten wir der Union mehr trauen, wo doch die alte Fortschrittsidee eine sozialdemokratische ist?
Schäuble: Schauen Sie sich nur die Energiepolitik an. Dann sehen Sie: Mit der SPD ist eine fortschrittliche rationale Politik nicht zu machen. In der Gentechnik hat die zuständige Ministerin eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen, die übrigens in der Union nicht unumstritten war.
Wie führt sich die CSU erst auf, wenn sie bei der Europawahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert?
Schäuble: Dass die CSU eine schwierige Strecke hinter sich hat, weiß jeder. Ich glaube aber, dass sie bei der Wahl ordentlich abschneiden wird. Meine Sorge ist eher, dass die Wahlbeteiligung zu niedrig wird.
Muss die CSU anders auftreten, nicht so raubeinig?
Schäuble: Nun ja, die CSU hat immer Wert darauf gelegt, eine eigenständige Partei zu sein. Das hat Horst Seehofer nicht erfunden. Das war schon bei Franz-Josef Strauß so.
Dass die CSU nervt, wissen gerade Sie seit Jahren...
Schäuble: Die CSU nervt nicht. Da können Sie auch sagen, die Demokratie ist eine nervende Veranstaltung. Demokratie lebt aber von der politischen Debatte. In Diktaturen haben Sie nur eine Meinung. Ist das Ihr Ideal? Meins ist es nicht.
Wie diskutiert die Union über Steuersenkungen? Wir verstehen das nicht mehr!
Schäuble: Ich will mich an der Debatte nicht beteiligen. Klar ist: Der Spielraum für Steuersenkungen ist kurzfristig äußerst gering. Wir müssen die Krise überwinden und die Verschuldung wieder zurückführen. Wer jetzt den Eindruck erweckt, er wisse genau, dass die Krise 2010 oder 2011 überwunden wird, macht sich unglaubwürdig. Deswegen hat die Kanzlerin gesagt, vor 2012 sieht sie keinen Spielraum, um Steuern zu senken.
Ihr Wunschpartner, die FDP, sieht das anders.
Schäuble: Die FDP ist in der Opposition. Sie hat größeren Spielraum in der Argumentation. In einer Koalition werden wir uns mit der FDP zusammenraufen. Da wird die Union Seriosität durchsetzen.
Glauben Sie, dass die FDP nach der Wahl nicht doch eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen eingeht?
Schäuble: Die FDP hat 2005 jeder Versuchung widerstanden, später in Hessen auch. Ich habe keinen Grund, ihre Seriosität anzuzweifeln.
Glauben Sie der SPD, wenn sie sagt, „kein Bündnis mit der Linken”?
Schäuble: Nein, ich glaube der SPD nicht, dass sie mit der Linkspartei nicht zusammenarbeitet. Was passiert, wenn es zum Schwur kommt, hat Hessen gezeigt. Da haben sie eine gemeinsame Regierung versucht. In der Bundesversammlung spekulieren die Sozialdemokraten auch auf Stimmen der Linken. Sie regiert in Berlin mit der Linken. Und im Saarland und in Thüringen geht es für die SPD doch nur noch um die eine Frage, ob sie sich dort auf eine Regierung unter der Führung der Linkspartei einlässt.
Machen Sie doch mal folgenden Satz zuende: Gesine Schwan wäre schlecht für Deutschland, weil...
Schäuble: Ich will nicht schlecht über Gesine Schwan reden. Vor fünf Jahren war sie noch eine respektable Kandidatin. Diesen Respekt setzt sie mit ihrer Art Wahlkampf aufs Spiel. Sie tut mir schon ein bisschen leid.
Sie haben den deutschen Einigungsvertrag ausgehandelt. Jetzt müssen Sie eine seltsame „Ostalgie”-Debatte erleben. Empfinden Sie das als eine persönliche Niederlage?
Schäuble: Ich habe eine Zeitlang gebraucht, um es zu verstehen. Nehmen Sie die Region Bonn. Der Umzug war ein Schock. Er ist aber nichts im Vergleich zum Umbruch in den neuen Ländern. Viele Menschen hatten sich in der DDR ihren Stolz bewahrt. Sie haben ihre Leistungen hoch gehalten und versucht, ein anständiges Leben zu führen. Sie haben nach der Einheit gehofft, mit dem Westen mitziehen zu können. Dass Ostdeutschland im Verhältnis zum Westen heute immer noch wirtschaftlich schlechter dasteht, ist enttäuschend. Aber wollen wir das als „Ostalgie” kritisieren? Wäre es nicht besser, noch respektvoller miteinander umzugehen?
Die Fragen stellten Ulrich Reitz, Walter Bau, und Miguel Sanches.