Warschau.

Die Trauer um die Opfer der abgestürzten polnischen Präsidentenmaschine eint Polen und Russen - und das Rätselraten auch: Wer war schuld am Absturz der polnischen Präsidentenmaschine am Samstag – womöglich der Präsident selbst?

Drei Versuche waren schon gescheitert, da setzten die Piloten der polnischen Präsidentenmaschine noch einmal im dichten Nebel zur Landung in Smolensk an – und stürzten in einem Waldstück ab. Nachdem so am ­Samstag der Präsident Lech Kaczynski, seine Frau Maria und 94 weitere Menschen ­starben, rätseln Polen und Russen nun über das riskante Verhalten der Piloten.

Die polnische „Gazeta Wyborcza“ spekulierte, der Präsident selbst habe Druck auf die Piloten gemacht, die Landung trotz widrigen Wetters zu wagen. Beweise hatte sie keine. Sie erinnerte aber an einen Flug nach Georgien im August 2008, bei dem Kaczynski sich mit seinem Piloten gestritten habe, weil der eine Landung auf dem Flughafen in Tiflis verweigerte. Der Flug­hafen war damals wegen Kampfhandlungen geschlossen. Außerdem lässt sich auf den Ehrgeiz des Präsidenten verweisen, die geplante Feier in Katyn am Samstag auf ­keinen Fall zu verpassen – Kaczynski soll verärgert gewesen sein, weil er nicht zur Hauptzeremonie mit dem ­russischen Ministerpräsidenten am Mittwoch vergangener Woche eingeladen war.

„Die Piloten konnten schlecht Russisch“

Weitere Stimmen vom Tag: Der Smolensker Fluglotse Pawel Pljusnin berichtete dem Nachrichten-Portal lifenews.ru von mangelhaften Russischkenntnissen der Piloten: „Was weiß ich, warum sie uns die Höhe nicht bestätigten. Weil sie schlecht Russsisch konnten.“ Und der deutsche Pilotengewerkschafter Jörg Handwerg verwies auf die mangelhafte Ausrüstung des Smolensker Flughafens: Da der lediglich ein Militärflug­hafen sei, fehle dort das Instrumentenlandesystem ILS, sagte Handwerg auf stern.de.

Während über die Ursachen noch gestritten wurde, wird eine überraschende Folge des Unglücks immer deutlicher sichtbar: Das Verhältnis ­zwischen Polen und Russen bessert sich.

Zu Lebzeiten kein Freund der Russen

Zu Lebzeiten galt der verstorbene Lech Kaczynski den Russen nicht eben als Freund, und das hatte Gründe. Als die USA planten, in Polen ein Antiraketensystem zu installieren, das Russland als Bedrohung seiner Sicherheit betrachtete, gehörte Kaczynski zu den eifrigsten Befür­wortern. Und er pflegte beste Beziehungen zum ehemaligen ukrainischen Präsidenten ­Viktor Juschtschenko und zum amtierenden Staatschef Georgiens, Michael Saakaschwili. Beide sind erklärte ­Erzfeinde des Kremls.

Auch Kaczynskis Reise am Samstag wurde in Russland beargwöhnt: Er wollte 22 000 gefangener polnischen Offiziere gedenken, die Stalins Geheimpolizei vor 70 Jahren ermordet hatte. Russland schickt sich gerade an, im Mai mit größtem Pomp den Sieg über Hitlerdeutschland zu ­feiern. Und diese Siegesfreude wollte man eigentlich nicht durch die Diskussion über ein Staatsverbrechen trüben, das aus Stalins Kumpanei mit ­Hitler erwachsen war.

Die russischen Ermittler warteten, bis die polnischen Kollegen da waren

Doch nun reagierten so­wohl Politik wie auch Medien und Bürger spontan und aufrichtig auf den 96-fachen polnischen Tod über Smolensk: mit Entsetzen. Präsident Dmitrij Medwedew wandte sich mit einer Fernsehrede an die Polen, Staatstrauer wurde ausgerufen, einfache Leute trugen Blumen zur polnischen ­Botschaft in Moskau. Und russische Ermittler nah­men ihre Arbeit an der Absturzstelle erst auf, als ihre polnischen Kollegen eingetroffen waren. Auch der Kreml ist manchmal zu vertrauensbildenden Maßnahmen in der Lage.

Darüber hinaus entschloss sich der Staatssender Rossija 1 am Sonntag, den polnischen Spielfilm „Katyn“ über die Massaker von 1940 aus­zustrahlen. Der lange als ­„antirussisch“ kritisierte Film wurde vorher nur im Spartenprogramm ausgestrahlt, die russischen Kinos hatten ihn völlig ignoriert. Jetzt lief er zur besten Sendezeit – für russische Verhältnisse eine sen­sationelle Geste.