Essen/Berlin.

US-Präsident Barack Obama hat bei seinem Amtsantritt für eine umfassende nukleare Abrüstung geworben. In einer gemeinsamen Stellungnahme haben nun der deutsche und der niederländische Außenminister, Guido Westerwelle und Maxime Verhagen, skizziert, wie der Weg der Nato zu „global zero“ aussehen kann.

Die nächsten Monate sind zentral für die Zukunft der nuklearen Abrüstung. Die Welt wartet ungeduldig auf den Abschluss des START-Nachfolgeabkommens zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Gleichzeitig laufen die Vorbereitungen für die Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) auf Hochtouren. 65 Jahre nach dem Abwurf der ersten Atombombe und 40 Jahre nach Inkrafttreten des NVV ist die Zeit reif für eine Stärkung des internationalen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregimes.

Präsident Obama hat im vergangenen Jahr seine Vision einer Welt ohne Kernwaffen beschrieben. Gleichzeitig hat er damals betont: „Solange diese Waffen existieren, werden die USA ein sicheres und wirksames Arsenal behalten, um jeden Gegner abzuschrecken, und diesen Schutz auch ihren Verbündeten garantieren.“ Dieser Ansatz findet nach wie vor unsere uneingeschränkte Unterstützung.

Die Welt ohne Kernwaffen entsteht nicht über Nacht

Eine Welt ohne Kernwaffen entsteht nicht über Nacht. Wichtiger ist eine Politik, die den Weg zum Ziel eines „global zero“ beschreibt. Diese Politik sollte zwei Komponenten miteinander vereinen: Glaubwürdige Abschreckung einerseits, und Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung andererseits.

Außenminister Maxime Verhagen
Außenminister Maxime Verhagen

Naturgemäß müssen die Kernwaffenstaaten in diesem Prozess eine Führungsrolle übernehmen. Aber auch Staaten ohne Atomwaffen können ihren Beitrag leisten. Die ersten Schritte der Präsidenten Obama und Medwedew sollten uns motivieren, unsere eigene Rolle auf dem Weg hin zu einer kernwaffenfreien Welt zu definieren und mit Leben zu füllen.

Wir plädieren für eine umfassende Diskussion, die unterschiedliche Auffassungen, Herausforderungen und Ansätze in der Atompolitik widerspiegelt. Keine andere internationale Organisation bietet hierfür ein besseres Forum als die Nato. Bis zum Ende dieses Jahres erarbeitet die Allianz ein neues Strategisches Konzept, das ihren künftigen Kurs in einem sich verändernden Sicherheitsumfeld bestimmen wird. Gleichzeitig blickt die Nato auf eine lange Geschichte im Spannungsbereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle einerseits und glaubwürdiger Abschreckung andererseits.

Für Abstung und Rüstungskontrolle

Aus diesem Grunde haben wir gemeinsam mit unseren Amtskollegen aus Belgien, Luxemburg und Norwegen angeregt, die Diskussion über einen breiten sicherheitspolitischen Ansatz der Nato prominent auf die Tagesordnung der bevorstehenden Nato-Außenministertagung Ende April in Tallinn zu setzen. Die Vorarbeiten für das Neue Strategische Konzept der Nato sind bereits weit gediehen. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, die künftige Rolle der Nato in der Sicherheitspolitik – einschließlich der Themen Rüstungskontrolle, nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung – zu erörtern. Unser Ziel ist eine breit angelegte und offen geführte Debatte mit unseren Nato-Verbündeten, die langfristig den Weg für eine Stärkung der Rüstungskontrolle und die Förderung der nuklearen und konventionellen Abrüstung bereitet.

Die Zukunft der in Europa verbliebenen substrategischen Nuklearwaffen sollte in diese Nato-Diskussion einfließen. Der Verbleib so vieler dieser Waffen auf dem europäischen Kontinent erfüllt uns mit Sorge. Nach Abschluss des START-Nachfolgevertrags liegt es nahe, sie in den künftigen Abrüstungsprozess mit einzubeziehen. Damit könnte die Nato einen Beitrag dazu leisten, die Bedeutung von Nuklearwaffen weiter zu verringern.

Sechs Punkte zur Debatte

Um der Abrüstungsdebatte innerhalb der Nato neue Impulse zu verleihen, sollten folgende sechs Punkte berücksichtigt werden:

Erstens: Rüstungskontrolle muss auf der Agenda des Bündnisses ganz nach oben rücken. Ein starkes Profil der Nato auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung stärkt die Sicherheit des Bündnisses und damit unser aller Sicherheit. Das Neue Strategische Konzept der Nato sollte die Thematik prominent aufgreifen.

Zweitens: Wir brauchen Transparenz in der Vermittlung der abrüstungspolitischen Bemühungen der Allianz. Die Nato hat ihr nukleares Arsenal seit Anfang der 90er Jahre drastisch reduziert. Warum nicht dieses offene Geheimnis öffentlich diskutieren?

Drittens: Strategische Abschreckung geht über nukleare Abschreckung hinaus. Wir plädieren deshalb dafür, glaubwürdige Abschreckungskapazitäten durch einen geeigneten Mix nuklearer und konventioneller Einsatzformen zu entwickeln, um unsere Sicherheit auf ganzer Bandbreite – offensiv, defensiv und diplomatisch – zu gewährleisten.

Viertens: Bei aller Unterstützung für die Vision eines global zero darf nukleare Abrüstung keine Lücke in unserer Verteidigung entstehen lassen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist ein glaubwürdiges Abschreckungspotenzial zur Wahrung von Frieden und Stabilität in der Welt immer noch unverzichtbar.

Fünftens: Die Unterzeichnung des START-Nachfolgeabkommens steht bevor. Wir ermutigen die USA und Russland, auch in Verhandlungen über die Reduzierung nicht-strategischer Kernwaffen einzutreten.

Sechstens: Sorgen unserer Partner und Verbündeten gilt es ernstzunehmen. Wir sollten deshalb mit allen Beteiligten erörtern, wie wir erweiterte Abschreckung unter den vorherrschenden Bedingungen glaubwürdig und sichtbar aufrechterhalten und in der Nato laufend überprüfen und gegebenenfalls neu definieren können.

Mit diesem Ansatz können auch wir Nichtkernwaffenstaaten innerhalb der Nato unseren Beitrag zu den laufenden Abrüstungsverhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland leisten. Ein kernwaffenfreies Europa bleibt dabei unser gemeinsames Ziel und Teil der erklärten Vision global zero.