Hamburg. .
Der Hamburger Volksentscheid kann zum Vorbild für andere Bundesländer werden. In Nordrhein-Westfalen soll es für Bürger künftig leichter werden, direkt mitzuentscheiden.
Die Sieger feierten laut und feucht mit Vuvuzelas und Champagner. Walter Scheuerl, Kopf der Kampagne gegen die Hamburger Schulreform, fühlte „Stolz“. „Wir haben gezeigt, dass die Menschen in dieser Stadt etwas durchsetzen können“. Die Initiative „Wir wollen lernen!“ nennt noch am Tag nach ihrem Triumph gerne ihre Zahlen: 276 304 gegen das Schulgesetz des Senats. 218 065 dafür. Ein satter Vorsprung.
Und ein satter Sieg für die, die sich für mehr Volksdemokratie auf Landes- oder Kommunalebene stark machen. Der zweite innerhalb von 14 Tagen. Kippten die Hamburger den Kern der Bildungspolitik der schwarz-grünen Senatskoalition, hatten die Bayern am 4. Juli dem laxen Rauchergesetz der CSU-geführten Staatsregierung den Garaus gemacht. Was den Hamburger Volksentscheid vom bayerischen noch unterscheidet: In der Hansestadt scheiterte ein vom Landesparlament fast einstimmig beschlossenes Gesetz. Eine neue Qualität: Das Volk gegen alle Politiker. Ist das der neue Trend? Politische Sachentscheidung per Stimmzettel statt im Plenum oder Hinterzimmern?
Plebiszit auf Bundesebene außen vor
Die Zahlen belegen: Ja. Auf lokaler Ebene haben sie sich seit Mitte der 90er Jahre verdreifacht. Allein 2009, meldet der Förderverein „Mehr Demokratie“, habe es bundesweit 46 Volksbegehren und Volksentscheide gegeben. Schwerpunkte: Bildung, Kultur, kommunale Zuständigkeiten. Soziale Themen waren nur zu 18 Prozent der Gegenstand.
Auf Bundesebene geht noch wenig. Als die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 die Verfassung schrieben, trauten sie nach der Hitler-Diktatur dem Volk nicht über den Weg. Das Plebiszit blieb außen vor. Aber auch die Länder handhaben Volksabstimmungen zum einen kompliziert, zum anderen sehr unterschiedlich. NRW zählt zu den zurückhaltenden mit hohen Hürden. Abstimmungen sind ein Ausnahmefall.
Mehr Plebiszit in NRW
Zwar gilt überall an Rhein und Ruhr: Finden sich genügend Bürger mit ihren Unterschriften, die dem Parlament einen Gesetzentwurf vorschlagen, muss sich die Volksvertretung damit befassen. Aber nur einmal, 1978, kam es im Land zum Entscheid, nachdem der Landtag den Bürgervorschlag zurückgewiesen hatte: Drei Millionen Bürger kippten das sozialliberale Vorhaben einer kooperativen Schule. Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) trat zurück.
In NRW soll es, so verspricht es die neue Landesregierung, künftig einfacher sein, den direkten Volkswillen zumindest auf lokaler Ebene durchzusetzen. Dort scheitern heute die Hälfte der Begehren. Rot-Grün will, dass die nötigen Unterschriften für ein Volksbegehren künftig auch auf der Straße gesammelt werden können, nicht mehr nur im Rathaus. Dafür wird mehr Zeit eingeräumt.
Quorum wird gesenkt
Auch das notwendige Quorum, die Unterschriften von acht Prozent der Wahlberechtigten, wird gesenkt, das Themenspektrum größer: Der Bau von Einkaufszentren und die Anlage von Gewerbegebieten soll zur direkten Volkssache werden. Im schwarzen Bayern abgucken will die Minderheitsregierung den Trick, mit dem Volksentscheide auch in größeren Städten eine Chance haben. Die Zustimmungsquoren sollen je nach Größe der Kommune gestaffelt werden.
Am späten Sonntag wurde in Hamburg diese Hürde spannend. Früh zeichnete sich der Trend gegen die Schulreform ab. Aber erst um 22.03 Uhr war klar, dass die Zahl von notwendigen 247 335 Ja-Stimmen erreicht war – der Moment, in dem bei den schwarz-grünen Förderern der direkten Demokratie, die in Hamburg die einschlägigen Gesetze ja selbst erleichtert hatten, Tränen flossen. „Scheißtag“, grummelte die grüne Schulsenatorin Christa Goetsch.