Brüssel/Essen. .

Nach dem Wahlerfolg für den Rechtspopulisten Geert Wilders bei den niederländischen Parlamentswahlen wird vor allem in Deutschland gerätselt, wie es zu dem Stimmungsumschwung bei den als liberal geltenden Niederländern kommen konnte.

„Ja, Niederländer galten als liberal und tolerant. Aber das war ein Bild, ein Klischee, das bei Stippvisiten von Deutschen in Amsterdam entstand,“ erklärt Professor Frieso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Westfälischen- Wilhelms-Universität Münster gegenüber der WAZ. „Aus anderem Blickwinkel betrachtet war es eher Desinteresse. Die Niederländer dachten, wenn wir den Migranten eigene Institutionen geben, sie ihre eigene Gesellschaftssäule aufbauen lassen, dann wird schon alles gut“.

Das lange Wegschauen, vor allem in den Großstädten, hat die Probleme eskalieren lassen, ist Wielenga überzeugt. „Man hat geträumt. Wenn jemand in den 90ern von kriminellen marokkanischen Jugendlichen sprach, wurde er schnell in die rechte Ecke gedrängt. Man träumte Multikulti. Und als man wach wurde, war es ein multikulturelles Drama. Eine Parallelgesellschaft war entstanden. Und auf dem Arbeitsmarkt sieht es für Migranten in den Niederlanden noch viel schlechter aus als in Deutschland.“

Eben weil Kritik an Migranten so lange tabuisiert gewesen sei, war es Wilders-Vorgänger Pim Fortuyn möglich, eine Bombe detonieren zu lassen mit seinen Thesen, meint Wielenga. „Dabei hat Fortuyn durchaus noch nach Lösungen gesucht. Wilders hingegen mit seinem aggressiven Anti-Islamtiraden verhindert Lösungen nur noch.“

Wilders versteht sich als Speerspitze

Die Rechte liegt vorn, die extreme Rechte nur wenig dahinter – das ist nun auch im EU-Gründerstaat Niederlande Realität. Nachfolger des christdemokratischen Regierungschefs Jan Peter Balkenende wird wohl der konservative Mark Rutte von der VVD.

Der eigentliche Triumphator aber ist ein heftig blondierter Populist, der keine Gelegenheit auslässt, jeden zu schmähen, der dunkle Haut hat oder zu Allah betet: Geert Wilders. Der Islam-Verächter steht 24 Stunden am Tag unter Polizeischutz und verkündete nach Bekanntgabe der Ergebnisse die Kernforderung seiner Freiheitspartei PVV: „Wir wollen in die neue Regierung!“ Ganz so weit ist man noch nicht, aber der Wahlausgang macht sicher schwierige Koalitionsverhandlungen nötig. Die PVV konnte sich von neun auf 24 Mandate steigern, ist damit drittstärkste Kraft im 150-Sitze-Parlament. Balkenendes Christdemokraten hingegen wurden nahezu halbiert.

Der 43-jährige Rutte, einst Personalchef bei Unilever, repräsentiert offenbar die derzeit attraktivste Schnittmenge für die von Krisen- und Überfremdungsängsten geplagten Holländer: konservativ in gesellschaftlichen Fragen, marktliberal in allem, was mit Wirtschaft zu tun hat. In Sachen Immigration greift das kollektive Misstrauen mittlerweile weit über die rechte Hälfte des politischen Spektrums hinaus, zieht sich durch fast alle Parteien. Wilders und die Seinen verstehen sich als Speerspitze der Bewegung. Die Partei will Muslime zur Rückkehr in die Heimatländer „ermutigen”, den Bau von Moscheen untersagen und das Ausländerwahlrecht bei Gemeindewahlen streichen. Für Wilders ist der Koran „ein faschistisches Buch”, auf das Kopftuch will er eine Sondersteuer erheben.

Das Gegenmodell zu Wilders war der sozialdemokratische Spitzenmann Cohen, langjähriger Bürgermeister von Amsterdam. Ein Regierungsbündnis unter Beteiligung der PVV hat er ausgeschlossen. Rutte nicht.