Bonn. Immer mehr Naturkatastrophen erwischen Deutschland. Christoph Unger, der Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, appelliert: Wir brauchen mehr Vorsorge. Heute sieht er Defizite in der Zivilschutz-Ausstattung – trotz Aufstockung des Etats um jährlich 57 Millionen Euro seit 2008.
Naturkatastrophen, die richtig großen, erwischen Deutschland in kürzeren Abständen. 2002: Die Elbeflut. Es folgten: Das Schneechaos im Münsterland, „Kyrill”, der Teile Südwestfalens verwüstete.
Jährliche Aufstockung um 57 Millionen Euro
Der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Christoph Unger, verfolgt die Wirkung der Urgewalten genau und analysiert sie. Heute sieht er Defizite in der Zivilschutz-Ausstattung – trotz Aufstockung des Etats um jährlich 57 Millionen Euro seit 2008.
In der Erwartung von Klimaveränderungen und der damit wachsenden Waldbrandgefahr in Teilen Deutschlands „muss nun geprüft werden, ob die bisherige Ausstattung auf Dauer ausreicht”, sagte Unger der WAZ. „Knapp” werden nach seiner Analyse auch Transporthubschrauber, „von denen die Bundeswehr nur noch eine begrenzte Zahl hat”.
Streitkräfte im Katatstrophenschutz auf dem Rückzug
Trotz der Verfassungs-Debatte um einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren und einer vereinbarten verstärkten Bemühung im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit: Die Streitkräfte sieht er eher auf dem Rückzug, was den Katastrophenschutz betrifft. „Die Bundeswehr spielt hier seit der Sturmflut 1962 eine ganz wichtige Rolle. Aber die Reduzierung der Zahl der Panzer- und Pionierbataillone mit schwerem Gerät und die Auslandseinsätze führen dazu, dass dies in Zukunft weniger der Fall ist. Die zivile Seite muss das selbst können.”
Ausfall von Zivilschutzübungen
Zum Beispiel: Privathaushalte wie Unternehmen sollten, sagt Unger, „stärker sensibilisiert” werden, um sich auf Notsituationen vorzubereiten. Der Jahre lange Ausfall von Zivilschutzübungen nach dem Ende des Kalten Krieges „ist uns 2002 bei der Elbeflut auf die Füße gefallen”, kritisiert Unger im Nachhinein die Spar-Politik der 90er-Jahre. Damals wurden selbst Zivilschutz-Schulen geschlossen.
"Grundsätzlich gut aufgestellt"
„Zivilschutz darf nicht nur in Wellen ernst genommen werden, wenn es gerade Notsituationen gab”, er sei auch keine Spardose, mahnt Unger. „Unser ziviles Schutzsystem ist grundsätzlich gut aufgestellt”, findet der Amtschef, „ich glaube, in keinem Land der Welt sind sonst so schnell Feuerwehr und Rettungsfahrzeuge vor Ort”. Aber: Für empfindlich hält er besonders die öffentliche Infrastruktur, wenn es zu einer Katastrophe kommt – Verkehrswege, die Bargeld-Versorgung, Tankstellen, die Stromleitungen.
Energie ist ein Sorgenkind: „Wir werden immer anfälliger, was die Stromversorgung betrifft”, sagt der Amtschef, „Stromausfälle mögen immer seltener vorkommen, aber wenn sie passieren, hat dies immer heftigere Folgen”.
Beispiel Kommunikation. „Masten für den Handy-Betrieb sind stromgespeist, fallen sehr schnell aus. Ein paar Stunden später ist das Festnetz dran”. Kommunikation und die Erreichbarkeit der Menschen seien aber gerade in Katastrophenlagen das A und O.
"Ausfall über mehrere Tage ist kaum zu verkraften"
Beispiel medizinische Versorgung. „Bei uns werden die Patienten schneller als früher aus der Klinik entlassen”. In immer zahlreicheren Fällen seien sie dann zu Hause an medizinische Geräte wie Dialysegeräte angeschlossen. Auch Menschen in Pflegeheimen seien auf den Transport in Aufzügen und damit auf die Stromversorgung angewiesen. „Ein Ausfall über mehrere Tage ist in solchen Fällen kaum zu verkraften”.
Notausstattungen
Die Katastrophenschützer appellieren an Betriebe, Behörden und Privatleute, von sich aus an den Notfall zu denken. Firmen sollten in Notstromaggregate investieren, private Haushalte nicht nur einen Lebensmittelvorrat, sondern auch ein batteriebetriebenes Radio beschaffen, sagt Unger.
Dort, wo wie in Mecklenburg-Vorpommern die Bevölkerung stark abnimmt, erwarten die Katastrophenschützer auch Lücken in der Personalausstattung. Der Zivilschutz-Chef mahnt deshalb, die Feuerwehren zu entlasten, damit sie sich auf Lebensrettendes konzentrieren: „Ölspuren auf den Straßen beseitigen können auch die Bauhöfe”.