Brüssel. Von Würselen nach Brüssel - lautmalerisch kein großer Sprung, geographisch auch nicht, meint Martin Schulz. Die kommende Wahl könnte den Vollblutpolitiker und SPD-Spitzenkandidaten für Europa nun ganz nach oben spülen, in das Amt des EU-Parlamentspräsidenten.
Würselen? Das klingt nicht nach Karriere. Klingt wie etwas, das man in der Sackgasse macht: „Hat sich total verwürselt...“ Tatsächlich handelt es sich um eine kleine Stadt bei Aachen, die zwei bedeutende Menschen hervorgebracht hat: Jupp Derwall, früher Trainer der Fußballnationalmannschaft, und Martin Schulz, europäische Nummer eins der deutschen Sozialdemokratie. Derwall war einst aktiv bei der örtlichen Rhenania, Schulz war daheim Buchhändler und elf Jahre lang Bürgermeister. Und „diese ganze Kommt-aus-Würselen-Nummer“, die nervt ihn. Denn Würselen ist nicht Provinz, sondern Europa. Man muss es nur von oben sehen.
"Vorort von Brüssel"
„Geographisch, wenn man auf die gesamte europäische Landkarte schaut, ist das ein Vorort von Brüssel“, sagt der 53-Jährige. „Für jemanden aus Nordschweden wohne ich direkt nebenan.“ So hat es, im wörtlichen Sinne, nahe gelegen, dass Martin Schulz Europa zum Beruf gemacht hat. Bei den EU-Wahlen tritt er als Spitzenkandidat der SPD an – mit Aussichten auf das höchste Amt, das die europäische Volksvertretung zu vergeben hat, das des Präsidenten.
Diesen ehrenvollen Posten, auf dem man viel herumkommt und die Wichtigen der Welt trifft, bekleidet derzeit der Christdemokrat Hans-Gert Pöttering. Dem ist das Präsidieren zweite Natur. Wenn Pöttering auf den Fuß getreten wird, sagt er „Bei aller Anerkennung des Grundrechts auf freie Platzierung der Extremitäten darf ich Sie bitten, Ihre Füße zurückzuziehen.“ Schulz sagt: „Pass op, Kääl!“, was nur inhaltlich ungefähr dasselbe ist. „Wenn ich Präsident werde, würde ich dem EP ein anderes Gesicht geben“, kündigt Schulz an. Versprechen? Drohung? Jedenfalls glaubwürdig.
Schulz, das "political animal"
Denn Schulz ist das, was die Engländer ein „political animal“ nennen. Das sind die, die das Geschäft mit Instinkt und Biss betreiben. Die sich auch nach der Entdeckung der Pöttering-Vokabel „Gestaltungsmöglichkeit“ manchmal trauen, einfach „Macht“ zu sagen. Die SPD hat nicht mehr viele von der Sorte.
Und Schulz ist angetreten nachzuweisen, was noch keinem deutschen Politiker gelungen ist: dass man „in Europa“ eine Power-Karriere hinlegen kann. Dabei hat er es weiter gebracht, als die meisten dem etwas bollerigen Glatzkopf zugetraut hätten: vom einfachen Abgeordneten über den Vorsitz der SPD-Gruppe zum Chef der gesamten sozialistischen Fraktion. Für dies Amt kandidiert er wieder, denn Präsident kann er nach Lage der Dinge erst in der zweiten Halbzeit der Legislaturperiode werden, in Absprache mit einem Vertreter der Konkurrenz, der die erste Hälfte bekäme (Favorit: der polnische Konservative Jerzy Busek).
Was ist mit dem deutschen Sitz in der EU-Kommission? Auch dafür haben ihn die Genossen nominiert. Es ist indes unwahrscheinlich, dass die SPD hier zum Zuge kommt. Wenn doch, könnte sich die Frage stellen, ob Schulz unter Kommissionschef Barroso dienen oder sein führender parlamentarischer Gegenspieler sein will. Barroso zöge Ersteres vor. Schulz eher nicht – „unter Barroso“ ist nicht oben.