Warschau. Wenn man sich das Gegenteil von Barack Obama vorstellt, landet man bei Wilfried Martens. Der 73-jährige Belgier war neun Mal Premier, sitzt seit 1992 der von ihm mitgegründeten Europäischen Volkspartei vor, und kombiniert Erfahrung mit dem rhetorischen Schwung eines Friedhof-Vorstehers.

Beim EVP-Wahlkongress in Warschau ließ es sich Martens dennoch nicht nehmen, seinen Parteifreunden den Obama zu machen. „Yes, we can!”, rief der ergraute Vorsitzende unter Aufbietung aller Spannkraft. „We can win again!” Da haben sie gejubelt wie auf der anderen Seite des Atlantiks.

Kein Obama-Klon

Was soll's, dass der Mann nicht gerade ein Obama-Klon ist. Die Parole stimmt: Gewonnen werden muss, wenn in fünf Wochen das Europa-Parlament gewählt wird. Die christdemokratische EVP will unbedingt wieder stärkste Fraktion im Straßburger Plenum werden, zum dritten Mal in Folge. „Das ist das Wichtigste”, sagt Fraktionschef Joseph Daul. Die Christdemokraten sind stolz darauf, in der EU die führende politische Formation zu sein: In 19 der 27 Mitgliedstaaten sind sie an der Macht, stellen darüber hinaus die Präsidenten der EU-Kommission (Jose´ Manuel Barroso aus Portugal) und des Parlaments (Hans-Gert Pöttering aus Deutschland). Derzeit haben sie 288 der 785 Mandate, ein satter Vorsprung vor der sozialistischen Konkurrenz (217).

Wenn der gehalten werden soll, müssen in der kommenden Legislaturperiode zwei Abgänge wettgemacht werden: Die britischen Tories (derzeit 27 Abgeordnete) und die tschechische ODS (neun) wollen ihre eigenen, euroskeptischen Wege gehen. Außerdem muss die CSU (neun Mandate) um den Wiedereinzug bangen, weil nicht sicher ist, ob sie in Bayern über die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde kommt.

Nach den Umfragen sieht es dennoch nicht schlecht aus für die EVP. In Frankreich, Italien, Spanien, Polen und Ungarn wird gegenüber 2004 mit Zuwächsen gerechnet. Das einzige große Land, wo die Zeichen auf Abnahme stehen, ist die Bundesrepublik. Aber selbst wenn das CDU/CSU-Kontingent von derzeit 49 Abgeordneten auf die vermutete Schwundstufe „40 plus kleines x” schrumpft, ja selbst wenn die Christsozialen scheitern – insgesamt müsste es zur Spitzenposition reichen.

Unbehaglich ist lediglich ein Personal-Konflikt

Dass die Sozialisten unter ihrem SPD-Fraktionschef Martin Schulz in einem pointiert linken Wahlkampf den Konservativen Unfähigkeit zur Zähmung des Kapitalismus vorwerfen wollen, ficht die EVPler nicht an. Umgekehrt, so ließ sich in Warschau einer nach dem anderen vernehmen, umgekehrt werde ein Schuh draus: Die Roten hätten von den Schwarzen das Rezept geklaut, das allein aus der Krise führe: die soziale Marktwirtschaft. „Wir haben alles richtig gemacht!”, donnerte Italiens Premier Silvio Berlusconi durch den Kuppelsaal des Kulturpalastes, und ausnahmsweise wollte ihm keiner widersprechen.

Unbehaglich ist lediglich ein Personal-Konflikt: Der Franzose Daul – blass, aber zuverlässig – wird wohl Fraktionschef bleiben. Aber wer soll Pötterings Nachfolger werden und für eine halbe Legislatur (die andere Hälfte läuft auf Schulz zu) den prestigeträchtigen Posten des Parlamentspräsidenten bekleiden? Die Deutschen und zahlreiche andere würden gern den polnischen Ex-Premier Jerzy Buzek küren und damit erstmals einen Top-Job an ein Land aus dem Osten vergeben. Berlusconi schickt hingegen seinen wenig profilierten Gefolgsmann Mario Mauro ins Rennen.