Frankfurt. Die Ärzte haben ihre Proteste gegen die Gesundheitspolitik deutlich ausgeweitet. In Essen folgten rund 80 Prozent der Ärzte dem Protestaufruf. Unterdessen hat in Mainz der Ärztetag begonnen. Dort hat Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe der Politik bewusste Täuschung der Bürger vorgeworfen.
Die Ärzte haben ihre Proteste gegen die Gesundheitspolitik am Dienstag deutlich ausgeweitet. Bundesweit blieben etwa 30.000 Praxen geschlossen, wie der Verband «Freie Ärzteschaft» erklärte. «Unsere Erwartungen haben sich erfüllt. Jede dritte Arztpraxis in Deutschland ist heute zugeblieben», sagte Verbandssprecher Peter Orthen-Rahner der Nachrichtenagentur AP.
In Essen seien rund 80 Prozent der Ärzte dem Protest-Aufruf gefolgt. In der Innenstadt errichteten dem Sprecher zufolge Mediziner ein provisorisches Zeltlager, um symbolisch zu zeigen, auf welche Art der Versorgung die aktuelle Gesundheitspolitik nach ihrer Auffassung zusteuert. Auch in Mainz, wo am Vormittag der Deutsche Ärztetag eröffnet wurde, hat es Orthen-Rahner zufolge Demonstrationen gegeben.
Ärztetag in Mainz
Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe hat der Politik bewusste Täuschung der Bürger über die Sparzwänge im Gesundheitswesen vorgeworfen. Wer heute eine umfassende Versorgung für sicher erkläre, der sage «schlicht und einfach nicht die Wahrheit», sagte Hoppe am Dienstag zur Eröffnung des Ärztetags in Mainz. Das Gesundheitsministerium wies dies zurück. Kassenpatienten würden auch künftig alles Notwendige auf der Höhe des medizinischen Fortschritts erhalten, sagte Staatssekretär Klaus Theo Schröder.
Schröder vertrat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, die erstmals statt zum Ärztetag zu einem anderen Termin reiste. Die Stimmung unter den Medizinern ist äußerst gereizt, unter anderem, weil viele von ihnen Honorareinbußen beklagen. Bis zu 30.000 Ärzte hielten deshalb nach Angaben des Verbands Freie Ärzteschaft am Dienstag ihre Praxen geschlossen.
«Mangelversorgung Realität»
Für die Ärzte ist Geldnot das Hauptproblem. «Mangelversorgung ist in Deutschland leider Realität», sagte Hoppe und bekräftigte seine Vorschläge für einen Gesundheitsrat, der künftig die wichtigsten Gesundheitsleistungen festlegen soll. Nur noch diese soll dann die gesetzliche Kasse bezahlen. Darüber war bereits in den vergangenen Tagen heftig gestritten worden.
Der Ärztepräsident sagte, es sei ihm bewusst, dass er mit den Vorschlägen ein Tabu breche. Mit seinen Thesen wolle er «eine Diskussion provozieren, in der die Politik Farbe bekennen muss». Deutschland gebe für die gesetzliche Krankenversicherung nur 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. In Schweden etwa sei es deutlich mehr. Würden Mittel auf schwedisches Niveau gehoben, würde dies 25 Milliarden Euro zusätzlich kosten.
Ministerium sieht keine Rationierung
Das Gesundheitsministerium hält Hoppes Argumente für falsch. Es gebe keine Rationierung und auch keine Mangelversorgung, sagte Schröder. Man gebe für die Versorgung nicht 6,5 Prozent, sondern elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Differenz zu Hoppes Zahlen ergibt sich daraus, dass das Gesundheitsministerium private Krankenversicherung und private Gesundheitsausgaben mitrechnet.
Der Staatssekretär beruhigte auch die Kassenpatienten. «Wir wollen, dass auch in Zukunft alle am medizinischen Fortschritt teilnehmen, auch wenn sie keine Privatversicherung abgeschlossen haben», sagte er. Das deutsche Gesundheitswesen habe dies bisher geleistet, «und wird dies auch in Zukunft leisten». Moderne Leistungen von der Herzverpflanzung bis zur Dialyse würden selbstverständlich für alle bezahlt.
Schröder bekräftigte die Absage an eine Erhöhung der Praxisgebühr, wie sie in der Ärzteschaft debattiert wird. Allerdings könne man ein System mit begrenzten Mitteln «nicht ohne Mengensteuerung fahren». Es müsse effizienter werden.
Beck hält mehr Geld für nötig
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck stimmte die Deutschen allerdings mittelfristig auf steigende Kosten für Gesundheit ein. Man müsse «einen höheren Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen für das Gesundheitswesen zur Verfügung stellen als dies heute der Fall ist», sagte der SPD-Poliitker. Das zusätzliche Geld soll aus der Staatskasse kommen. Kurzfristig gebe es dafür wegen der Haushaltsprobleme aber keine Chance.
Die Krankenkassen griffen die von den Ärzten losgetretene Debatte über die Sparzwänge scharf an. Dies schüre nur Ängste, kritisierte der Ersatzkassenverband vdek. «Es droht keine Rationierung.» Ähnlich äußerte sich auch der AOK-Bundesverband. (ap)