Essen. Ein lockeres Bündnis von Studierenden und Schülern ruft bundesweit zu einem Bildungsstreik auf. Haupt-Aktionstag ist der Mittwoch. Die Organisatoren kritisieren die Studiengebühren, die neuen Abschlüsse Bachelor und Master und das Anbieten von Bildung als Ware.
Sie sprechen viel vom Druck, der auf ihnen lastet: Jan, Myriam und Marina studieren in Essen. „Der Druck an der Uni nimmt immer mehr zu”, sagen sie. Wie bei einem Wasserkessel auf dem Herd. Nächste Woche soll der Deckel vom Topf fliegen, dann wollen sie Dampf ablassen. Beim „Bildungsstreik 2009”.
Im Revier könnte es laut werden
Streik, das ist ein großes Wort. Sie haben davon gehört, und sie finden die Idee gut. Aber eigentlich geht es Myriam Ribbek (21), Marina Beyer (23) und Jan Debald mehr ums Diskutieren als ums Blockieren. Sie möchten einfach mal ihren Ärger hörbar machen. Mit Schafsmasken wollen Studenten am Dienstag auf dem Campus Essen auftauchen. Schafe – das steht für eine Horde Lämmer, die willkürlich hin und hergeschoben wird. Die Schafe machen „Bäh”, Zum Beispiel zum neuen, ungeliebten Abschluss: „Bäh-, Bäh-, Bachelor”.
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Der Streikaufruf an Schüler und Studierende gilt bundesweit. In 60 Städten sind Demos geplant, besonders am Mittwoch, dem Haupt-Aktionstag. Wer hinter dem Streik - dem dritten nach 1997 und 2002 - steht, ist schwer auszumachen. „Projektgruppen” oder „Aktivisten” heißt es etwas rätselhaft. Die Fäden laufen in Frankfurt und Berlin zusammen. Die meisten Studierendenvertretungen (Asten) haken sich ein, aber nicht alle. In NRW könnte es u.a. in den Uni-Städten Bochum, Dortmund, Essen, Duisburg und Siegen laut werden.
Ein Professor und 700 Klausuren
Was ist faul in Schulen und Hochschulen? Myriam, Marina und Jan klagen über mit Lernstoff überfrachtete und verschulte Bachelor-Studiengänge, über Abschlüsse, deren Wert oft noch nicht mal die Nachbaruni schätzt und schon gar nicht eine im Ausland.
„Wir zahlen Gebühren, man nennt uns ,Kunden', aber es hat sich nichts verbessert. Da sitzen 80 Leute in einem Pädagogik-Seminar, das für 20 konzipiert ist”, sagt Myriam. „Auch viele Dozenten sind überlastet. Da musste ein Professor in Kommunikationswissenschaften mit seinen Hilfskräften 700 Klausuren korrigieren”, erinnert sich Jan. Die Vorstellung, für ein Studium einen Kredit aufzunehmen, ist Marina ein Graus: „Dann bin ich mit 23 schon verschuldet.”
Das Deutsche Studentenwerk äußert Sympathie für den Streik, ebenso die Lehrergewerkschaft GEW.
Auch Schüler sind zum Protest aufgerufen. In Dortmund etwa am Mittwoch ab 10 Uhr ab Hauptbahnhof. Einige Schulleiter dort haben Schulverweise angedroht für jene, die untentschuldigt während der Demonstration fehlen. Andere Schulen unterstützen die Forderungen ausdrücklich: Abschaffung von Kopfnoten, Zentralen Prüfungen, G8, großen Klassen. . . In Düsseldorf, wo Schüler besonders viele Aktionen planen, hat die Bezirksregierung angeordnet: Entschuldigt werden nur Fehlstunden mit Attest. Abiturientin Dilan Aytac (18) vom Vorstand der Landesschülervertretung: „Wir sollen Demokratie lernen. Aber das geht nur, wenn man selbst mitbestimmen kann. An unseren Schulen haben wir nur Pseudo-Partizipation.”
"Die Faxen dicke"
Der Präsident des Deutschen Studentenwerkes, Rolf Dobischat, hält den Bildungsstreik im Interview für gerechtfertigt.
Herr Dobischat, glauben Sie an den Sinn dieses Streiks?
Rolf Dobischat: Ja. Die Unruhe nimmt zu, viele, auch Lehrende, haben die Faxen dicke.
Warum?
Dobischat: Wer Schule und Uni vor 30 Jahren kennen gelernt hat, der würde sich heute wundern. In einige, auf sechs Semester komprimierte Bachelor-Studiengänge wurden ganze Diplom-Studiengänge gepresst. An den Schulen wird die Zeit bis zum Abi verkürzt.
Keine Untersuchung belegt, dass Studiengebühren tatsächlich viele junge Leute abschrecken.
Dobischat: Stimmt. Aber es gibt Indizien, dass Einkommensschwächere genau so reagieren und eine Berufsausbildung bevorzugen. Was dann die spüren, die „nur” einem Haupt- oder Realschulabschluss haben.
Aber ein Studium lohnt sich auf lange Sicht immer.
Dobischat: Früher brachte ein Studium fast automatisch eine hohe Bildungsrendite. Bis vor zwei Jahren war das noch so. Aber diese Zeiten sind vorbei. Heute gibt es Historiker, die in ihren Jobs mit 1600 Euro netto nach Hause gehen. Und diese Entwicklung geht vermutlich weiter.