Berlin. Die Bundesregierung steuert auf die höchste Schuldenaufnahme seit Bestehen der Bundesrepublik zu. Insgesamt dürfte der bisherige Schuldenrekord von 40 Milliarden Euro aus dem Jahr 1996 bei weitem übertroffen werden.
Die Bundesregierung steuert auf die höchste Schuldenaufnahme seit Bestehen der Bundesrepublik zu. In seinem Nachtragsetat für 2009 sieht Finanzminister Peer Steinbrück (SPD, Bild oben) nach Angaben aus Bundestagskreisen bereits eine Verdoppelung der Neuverschuldung auf 36,8 Milliarden Euro vor. Der über Schulden finanzierte Investitions- und Tilgungsfonds in Höhe von etwa 21 Milliarden Euro für zwei Jahre ist dabei noch nicht berücksichtigt. Insgesamt dürfte damit der bisherige Schuldenrekord von 40 Milliarden Euro aus dem Jahr 1996 bei weitem übertroffen werden. "Wenn man alles zusammenrechnet, sind wir zwischen 50 und 60 Milliarden Euro", sagte FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke zu Reuters. Steinbrück selbst ermahnte seine Ministerkollegen zur Sparsamkeit. Das Kabinett soll den Nachtragsetat am Dienstag beschließen.
Kabinett will Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklären
Mit dem Nachtragshaushalt verdoppelt Steinbrück wegen der Wirtschaftskrise die Neuverschuldung des Bundes, die er im Herbst noch mit 18,5 Milliarden Euro angesetzt hatte. Eine mit Steinbrücks Vorlage vertraute Person sagte Reuters am Samstag, bei der Verabschiedung am Dienstag wolle das Kabinett zudem eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklären. Das ist laut Grundgesetz die Voraussetzung dafür, dass die Schuldenaufnahme die Höhe der Investitionen übersteigen darf. Deren Höhe wird auf 28,7 Milliarden Euro beziffert.
Zusätzlich zur höheren Nettokreditaufnahme soll den Angaben zufolge ein Investitions- und Tilgungsfonds eingerichtet werden. Dieser soll einschließlich Zinszahlungen ein Volumen von 21 Milliarden Euro über zwei Jahre haben. Der Haushalt insgesamt soll nach diesen Angaben um 7,5 Milliarden auf 297,5 Milliarden Euro steigen. Die Steuereinnahmen werden mit 233,2 Milliarden Euro um 10,9 Milliarden niedriger angesetzt als bei der Verabschiedung des Haushalts im vorigen Jahr.
Damals war die Regierung noch von einem leichten Wirtschaftswachstum ausgegangen. Inzwischen rechnet sie aber mit einem Rückgang der Wirtschaftskraft um 2,25 Prozent. Die dadurch zu erwartenden Mindereinnahmen sowie die beschlossenen Konjunkturhilfen zur Abwehr der Rezession machten die höhere Neuverschuldung und den Nachtragshaushalt unumgänglich.
Der Tilgungsfonds soll laut «Spiegel» allerdings schneller abgezahlt werden als bisher geplant. Dafür verzichte der Bund von 2012 an auf eine Milliarde Euro vom Bundesbankgewinn, berichtet das Magazin. Er bekomme dann nur noch jährlich 2,5 Milliarden Euro aus Frankfurt überwiesen. Alles, was diese Summe übersteige, fließt in den Tilgungsfonds. Bis 2012 werde nur jener Teil des Bundesbankgewinns an den Fonds abgeführt, der 3,5 Milliarden Euro übersteige.
FDP kritisiert Schattenhaushalt
Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, Otto Fricke (FDP), sagte voraus: «Wir werden wohl insgesamt bei 50, womöglich 60 Milliarden Neuverschuldung in diesem Jahr landen.» Er forderte den Finanzminister auf, «in seinem Nachtragshaushalt alles aufzuführen und keine Schattenhaushalte zu bilden». Der FDP-Haushaltsexperte Jürgen Koppelin hielt Steinbrück vor, die Nettokreditaufnahme künstlich kleinzurechnen. Über einen Haushaltstrick - das Sondervermögen - und die Auslagerung von 16,9 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in einen Schattenhaushalt, werde die Nettokreditaufnahme nicht real abgebildet.
Aus dem Finanzministerium hieß es dazu, es werde nichts verschleiert. Der Tilgungsfonds werde mit einem konkreten Tilgungsplan eingerichtet und setze somit ein deutliches Signal, dass das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts weiter Gültigkeit habe.
Steinbrück ermahnte die Ministerien zur Sparsamkeit. Die neuen Rahmenbedingungen dürften nicht zum Vorwand genommen werden, um von dem «Pfad einer an Nachhaltigkeit ausgerichteten Finanzpolitik abzuweichen und damit gleichzeitig die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung auf das Spiel zu setzen», heißt es laut »Handelsblatt« in einem Schreiben des Ministers. Die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der frühestmögliche Ausstieg aus der Neuverschuldung blieben die zentralen politischen Ziele auf Bundesebene. So will Steinbrück überplanmäßige Ausgaben nur dann genehmigen, wenn der Betrag an einer anderen Stelle eingespart wird. (rtr/ddp)