Oft wurde es beklagt, doch nie war es so offensichtlich wie heute: Der Politik gehen die Typen aus - jedenfalls fast. Kein Wehner mehr, kein Strauß, kein Fischer. Und jetzt ist auch noch Polit-Rocker Peter "Strucki" Struck weg.
Er ist der vielleicht bekannteste Schnauzbartträger der Nation, braust in seiner Freizeit gern mit dem Motorrad durch die Gegend – und wenn es sein muss, wirft er sich in seine Blues-Brothers-Montur und gibt den wilden Rocker auf der Bühne. Keine Frage: Peter Struck ist einer der markantesten Köpfe des politischen Berlin. Und dies nicht nur wegen seiner Marotten, sondern auch weil er sich als Politiker nicht scheut, unbequeme Positionen zu vertreten; gerade erst sprach er sich – nicht zur Freude aller in der SPD – für ein langfristiges Verbleiben der Bundeswehr in Afghanistan aus. Sein Ausspruch, wonach die Sicherheit Deutschlands „auch am Hindukusch“ verteidigt wird, polarisierte auch in den eigenen Reihen.
"Sie Oberstrippenzieher"
Am stärksten war „Strucki“, wenn er hinter den Kulissen des Parlaments Regie führen konnte. „Sie Oberstrippenzieher!“ polterte CDU-Kanzler Helmut Kohl einmal, als Struck ihm trickreich eine peinliche Abstimmungsniederlage im Bundetag bereitet hatte. Das glich einem politischen Ritterschlag.
Vorbei. Peter Struck (66) tritt ab, er wird nach dem 27. September nicht in den Bundestag zurückkehren. Ein Verlust fürs Parlament, wie auch politische Gegner eingestehen. Der knorrige Genosse ist einer der wenigen markanten Persönlichkeiten im Bundestag, dem immer mehr die Typen ausgehen.
Blasse Gestalten
Nun soll an dieser Stelle nicht das altbekannte Lied angestimmt werden, wonach früher alles besser gewesen sei. Ganz ehrlich: Auch in den 60er, 70er und 80er Jahren gab es schon reichlich blasse Gestalten unter den Volksvertretern – nur, dass man sich an diese heute nicht mehr erinnert. Aber: Es gab eben auch die Wehners und Straußs, die Fischers und Hamm-Brüchers. Politiker-Persönlichkeiten, die – jede auf ihre Art, jede nach ihrem Temperament – unverwechselbar waren. Und die für ihre Positionen und Prinzipien einstanden, ohne beim ersten Gegenwind umzuschwenken.
Und wo bleibt heute der hoffnungsvolle Polit-Nachwuchs? Fehlanzeige.
Parteiarbeit gilt als piefig
Das fängt schon in den Städten und Gemeinden an. Vielerorts finden die Parteien schon nicht mehr genug Leute, um bei Kommunalwahlen alle Kandidatenposten besetzen zu können. Politische Basisarbeit, Engagement im Ortsverein, ein Sitz im Gemeinderat, gar Plakate kleben im Wahlkampf – immer mehr Menschen fin-den das piefig, langweilig und – nicht zuletzt – sinnlos. Motto: Ich kann sowieso nichts bewirken, die da oben machen ja doch was sie wollen. Wer politisch Flagge zeigen will, schließt sich lieber den Globalisierungsgegnern von Attac oder Greenpeace an. Da stimmt für viele die Richtung, obwohl – oder gerade weil – vieles im Unbestimmten bleibt.
Im Bundestag findet man immer seltener jene, die Politik gleichsam von der Pike auf gelernt habe – wie Peter Struck, der Anfang der 70er Jahren als Stadtrat im niedersächsischen Uelzen seine Laufbahn startete. Stattdessen wachsen Leute nach vom Schlage eines Philip Mißfelder (29), der Politik gleichsam von der Schule weg zu seinem Beruf machte und dessen politisch-inhaltliche Anliegen und Ziel mit dem Attribut verschwommen vielleicht am treffendsten bezeichnet sind.
Reizfigur Schäuble
Aber: Womöglich tun wir den Mißfelders dieser Welt ja Unrecht. Auch der vermeintlich konturlose, windschnittige Einstieg in die Politik kann markante und profilierte Persönlichkeiten hervorbringen. Bestes Beispiel: Wolfgang Schäuble (66). Der CDU-Mann und aktuelle Innenminister zog 1972 in den Bundestag ein – gerade einmal ein Jahr, nachdem der Jurist seine Promotion abgeschlossen hatte. Schon bald wurde aus dem eigenwilligen Schwaben eine Reizfigur, an dem sich nicht nur politische Gegner rieben. Schäuble scheute sich nie, unbequeme Fragen zu thematisieren, etwa den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Man muss nicht seiner Meinung sein; aber es ist klar, dass bei Schäuble ein feste Überzeugung und eine fundierte Meinung dahinter steht - und kein peinlicher Profilierungsversuch.
Anders als sein SPD-Kollege Struck tritt Schäuble am 27. September wieder für den Bundestag an. Ein Lichtblick.