Düsseldorf. NRW stärkt die Rechte von Diskriminierungsopfern in der Schule. Die Grünen-Fraktionschefin erklärt, was geplant ist - und was nicht.

Verena Schäffer (37), Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Rassismus und Diskriminierung. Jetzt will die schwarz-grüne Regierungskoalition einen neuen gesetzlichen Rahmen schaffen. Warum sie das für wichtig hält, hat Schäffer bei einem Gespräch in ihrem Düsseldorfer Büro erläutert.

Frau Schäffer, Sie waren 2010 die jüngste Abgeordnete hier im NRW-Landtag. Lässt sich Ihre Politisierung noch mit der von heutigen Jugendlichen vergleichen?

Ich bin so richtig intensiv mit Politik erst mit 16 Jahren in Berührung gekommen, als Freunde damals Demonstrationen gegen den Irak-Krieg organisiert haben. Dieses Gemeinschaftserlebnis auf der Straße, das Gefühl, etwas bewegen zu können, und die Auseinandersetzung mit relevanten Fragen – all das macht etwas mit Heranwachsenden. Das hat sich nach meinem Eindruck bis heute nicht verändert.

Moment, früher tickte die Jugend links, heute eher rechts. Mittlerweile sind Jugendliche geprägt durch die chinesische Onlineplattform TikTok, auf der vor allem die AfD erfolgreich ist…

Das stimmt so nicht. Jugendliche setzen sich für Klimaschutz und Menschenrechte ein. Aber TikTok ist in der Tat ein Problem für die demokratische Gesellschaft, weil der Algorithmus Polarisierung belohnt. Hass und Verschwörungsmythen gehen viral, Differenzierung und Fakten funktionieren in den sozialen Netzwerken deutlich schlechter. Deshalb müssen wir als demokratische Parteien und auch die politische Bildung im Netz präsenter werden. Wir dürfen den digitalen Raum nicht den Nazis überlassen. Mich besorgt, dass Studien einen deutlichen Anstieg von rechtsextremen Einstellungen insgesamt in der Gesellschaft und auch unter jungen Leuten nachweisen. Anderseits sehe ich auch Mut machende Signale.

Welche?

Die zahlreichen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zeigen, dass die Mitte der Gesellschaft über Parteigrenzen hinweg in Sorge ist um unsere Demokratie. Auch viele junge Menschen demonstrieren mit und bekennen sich überall im Land zu Vielfalt und Menschenrechten. Diese Demokratiebewegung mitzuerleben, macht Mut.

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Was machen Sie, wenn die Demonstrationswelle irgendwann wieder abebbt?

Wir Grüne verstehen die Demonstrationen als Auftrag, uns noch entschiedener gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einzusetzen. Wenn wir über Rechtsextremismus reden, denken wir zurecht an die rechtsterroristischen Taten von Kassel, Halle und Hanau oder an die NSU-Morde. Darüber darf aber auch der Alltagsrassismus nicht aus dem Blick geraten.

Was meinen Sie konkret?

Viele Menschen werden tagtäglich wegen ihres Aussehens, ihres Namens, ihrer Herkunft oder ihrer Religion in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen angefeindet. Wir werden den Rechtsextremismus nur bekämpfen können, wenn wir den Kern des Problems bekämpfen. Und der heißt Rassismus.

Verena Schäffer, Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag NRW, beschäftigt sich seit Jahren mit Rassismus und Diskriminierung.
Verena Schäffer, Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag NRW, beschäftigt sich seit Jahren mit Rassismus und Diskriminierung. © Fraktion Bündnis 90/Die Grünen | Linda Hammer

Sie können üble Gesinnung schlecht gesetzlich verbieten…

Das stimmt. Die Auseinandersetzung mit Rassismus und anderen menschenfeindlichen Einstellungen ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Der Staat ist aber durch das Grundgesetz dazu verpflichtet, Menschenrechte für alle zu gewährleisten. Deshalb wollen wir als schwarz-grüne Koalition die Rechte der Betroffenen stärken. Sie sollen sich besser gegen Diskriminierung wehren können. Wir haben uns deshalb schon im Koalitionsvertrag auf ein landeseigenes Antidiskriminierungsgesetz verständigt.

Es gibt doch ein Bundesgesetz. Warum wollen Sie in NRW draufsatteln?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz des Bundes deckt leider nicht die Bereiche mit Landeszuständigkeit vollständig ab. Das betrifft zum Beispiel die Schulen und Hochschulen, die Justiz und die Polizei. Wir wollen diese Schutzlücken schließen, damit Betroffene sich juristisch wehren können.

Wollen Sie Lehrer etwa haftbar machen, wenn ein Kind auf den Schulhof diskriminiert wird?

Nein, Entschädigungsansprüche richten sich immer gegen die Institution, nicht gegen die Landesbediensteten. Keine Lehrkraft und keine Beschäftigten in der Justiz oder bei der Polizei müssen fürchten, verklagt zu werden. Es geht auch um eine Signalwirkung des Gesetzes. Staatliche Institutionen sollen sich mit dem Thema beschäftigen müssen.

Berlin hatte vor einigen Jahren als erstes Bundesland ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz beschlossen und erhebliche Debatten ausgelöst.

In Berlin zeigt sich, dass es zu keiner Klageflut gekommen ist. Wenn Kinder auf dem Schulhof aufgrund ihres Migrationshintergrundes oder einer Behinderung diskriminiert und drangsaliert werden oder weil sie jüdisch sind, dann hat die Schule einen Schutzauftrag. Kommt sie dem nicht ausreichend nach, müssen Eltern dagegen vorgehen können.

Was ist mit der Auszeichnung „Schule ohne Rassismus“?

Schule ohne Rassismus ist eine super Initiative. Ich bin selbst Patin einer solchen Schule. Aber die Wahrheit hinter einem solchen Türschild ist: Es gibt keine Schule ohne Rassismus. Denn Rassismus und auch Antisemitismus durchziehen unsere Gesellschaft. Nicht immer geht es nur um das Verhalten unter Kindern. In einer Studie wird von einem Fall berichtet, dass ein Lehrer ausgerechnet dem einzigen jüdischen Kind in der Klasse das Referat über den Holocaust aufgibt. Die allermeisten Lehrkräfte setzen sich aber täglich für die Vermittlung einer demokratischen Haltung ein.

An Hochschulen dagegen scheint Antisemitismus eher ein Phänomen linksalternativer Kreise zu sein. Sind Sie da genauso wachsam?

Selbstverständlich. Das Landesantidiskriminierungsgesetz soll alle Fälle von Diskriminierung abdecken und gilt auch für Antisemitismus. Darunter fällt natürlich der linke Antisemitismus an Hochschulen, dessen offene Artikulation uns nach dem Angriff der Hamas auf Israel große Sorgen bereitet.

Die Gesellschaft wird immer diverser, doch die Diskriminierung bleibt ein ständiger Begleiter. Warum eigentlich?

Unsere Gesellschaft ist beim Thema Diskriminierung deutlich sensibler geworden. Gleichzeitig gewinnen Rechtsextreme und Demokratiefeinde gerade weltweit an Zustimmung. Sie führen einen Kulturkampf gegen unsere freiheitliche und vielfältige Gesellschaft. Deshalb werden die Auseinandersetzungen insgesamt härter, die Anfeindungen nehmen zu. Wir Demokratinnen und Demokraten sind gefordert, Hass zu widersprechen.