An Rhein und Ruhr. Auf dem Bio-Markt gibt es starke Umwälzungen. Discounter profitieren, Fachhändler haben zu kämpfen. Wie Experten die Lage einschätzen.
Die Folgen des Ukraine-Krieges sind an der Bio-Branche nicht vorbeigegangen. Der deutsche Öko-Markt schrumpfte 2022 nach Angaben des Deutschen Bauernverbands zum ersten Mal in seiner Geschichte nach Jahrzehnte andauerndem und gerade in den Coronajahren 2020 und 2021 explodierendem Wachstum. Der Öko-Lebensmittelumsatz sank von Januar bis Oktober 2022 um 4,1 Prozent.
Die Discountketten (etwa Aldi und Lidl) profitierten nach Daten des Marktforschungsinstituts GfK jedoch. Im Zeitraum Januar bis Oktober 2022 stieg hier der Öko-Umsatz um 14,5 Prozent. Bio-Fachmärkte, darunter die Ketten „SuperBioMarkt“ oder „Basic“, mussten Insolvenz anmelden, sich neu aufstellen und Filialen schließen.
Experte: „So einen Rückgang hat es bislang nicht gegeben“
„Es ist eine absolute Besonderheit. 30 Jahre konnte man sagen, ‘Bio wächst’. Es gab Jahre, in denen es stagnierte, etwa zu Hochzeiten der Finanzkrise, aber so einen Rückgang hat es bislang nicht gegeben“, erklärt Dr. Hans-Christoph Behr, Fachbereichsleiter Öko-Landbau bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft.
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Dieser Rückgang, der gerade die Fachhändler betrifft, folgt dabei auf eine Phase der enormen Zuwächse. „Es waren keine ganz normalen Jahre. Die Händler profitierten davon, dass die Menschen in Deutschland aufgrund der Pandemie mehr Lebensmittel zuhause verzehrt haben“, so Behr. „2020 und 2021 hat ’Bio’ überperformt.“ Kundinnen und Kunden hätten in den Regalen Bio-Produkte für sich entdeckt.
Doch mit einer Inflation in Rekordhöhe wandte sich die Kundschaft bei Bio-Lebensmitteln, wie auch bei konventionellen Lebensmitteln, zunehmend den günstigeren Handelsmarken statt den Markenartikeln zu. „Die Verbraucher haben weiter Umweltaspekte im Hinterkopf, schauen aber sehr stark auf den Preis“, führt der Markt-Experte Behr an. „Bei den Discountern wächst das Bio-Segment dabei besonders stark.“
Bio-Fachhändler: „Wachstum konnte so nicht weitergehen“
Michael Radau, Vorstand der „SuperBioMarkt AG“ mit Sitz in Münster, kann aus eigener Erfahrung von den Umwälzungen berichten, die derzeit auf dem Bio-Markt stattfinden. Im August 2022 hatte sein Unternehmen, das Fachmärkte in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen betreibt, beim Amtsgericht Münster einen Antrag auf ein sogenanntes Schutzschirmverfahren gestellt. Dabei gab es noch 2021 Rekordumsätze zu vermelden. „Es hätte aber eigentlich jedem klar sein müssen, dass es mit dieser Form des Wachstums so nicht weitergehen kann“, blickt Radau zurück.
Massive Kostenexplosionen, etwa bei Energie und Mieten, sowie die Preiserhöhungen bei vielen Produkten, die so nicht an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden konnten: All diese Faktoren führten zu Problemen. Von einst 33 Filialen sind aktuell noch 28 geöffnet. Standorte in Düsseldorf (an der Friedrichstraße) und Aachen wurden aufgegeben. Ob weitere Filialschließungen hinzukommen? Radau möchte dies verhindern. „Wir arbeiten daran, effizienter zu werden und unsere Filialen so aufzustellen, dass sie wirtschaftlich arbeiten.“ Er ist zuversichtlich das Verfahren, eine Insolvenz in Eigenregie, bald erfolgreich abzuschließen.
Umsatz stieg von 62 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro an
Dabei hatte es zu Beginn der Coronapandemie noch einen Hype auf Bioprodukte gegeben. „Gerade 2020 hat die Branche einen Boom erlebt. Restaurants und Kantinen waren geschlossen, die Leuten haben selbst in ihrem Zuhause für sich gekocht. Sie haben sich dann auch eher etwas Besonderes gegönnt, hochwertigere Produkte“, so Michael Radau. „Wir hatten in dieser Zeit Zuwächse von 20 bis 30 Prozent. Unser Umsatz wuchs von 62 Millionen im Jahr 2019 auch durch eine intensive Expansion auf 100 Millionen Euro im Jahr 2021 an.“
Schnell mussten weitere Produkte herangeführt und das Personal aufgestockt werden. Die Bestände wurden zum Teil, gerade bei Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Nudeln, schneller verkauft, als sie aufgefüllt werden konnten. „Es hätte aber eigentlich jedem klar sein müssen, dass es mit dieser Form des Wachstums so nicht weitergehen kann“, blickt Radau zurück.
Viele Wechselkunden sind sehr preissensitiv
Mit dem Ende der striktesten Corona-Maßnahmen war eine erste Abkühlung spürbar. „Die Leute konnten wieder reisen und in Restaurants gehen.“ Spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 änderten sich die Vorzeichen komplett. Die Rekord-Inflation, angefeuert durch explodierende Rohstoff- und Energiepreise, verschreckte Teile der Kundschaft. „Rund um die zehn Prozent sind Wechselkunden. Sie interessieren sich für Bioprodukte, sind aber sehr preissensitiv“, berichtet Radau. „Gerade in diesem Bereich bemerken wir eine große Verunsicherung.“
KOMMENTAR VON MARCEL SROKA:DIE ANTWORT AUF DIE KRISE? MEHR SERVICE!
Zudem drängen vermerkt Aldi, Lidl und Co. in den Markt. „Mir ist jedes verkaufte Bio-Produkt lieb“, führt Radau an. „Mit der Preismacht der großen Discounterketten können wir aber nicht konkurrieren.“ Bio sei dabei nicht gleich Bio. „Es gibt Qualitätsunterschiede. Mit einigen Landwirten arbeiten wir seit Jahrzehnten zusammen und haben dort etwa im Bereich der Hühnerhaltung strengere Obergrenzen bei der Anzahl der gehaltenen Tiere abgesprochen, als es die EU-Öko-Verordnung vorsieht.“
Dass zudem Bio-Produkte bei den Discountern nicht immer automatisch günstiger als in Fachmärkten sind, konnten Verbraucher im Juni 2022 beobachten, als Aldi die Bio-Trinkmilchpreis auf einen Schlag um 50 Prozent erhöhte hatte. „Der Preis betrug dann dort 1,69 Euro, bei uns 1,49 Euro“, so Radau. Auch sei die Auswahl bei Fachmärkten deutlich umfangreicher.
Talsohle wurde vielleicht erreicht
Der Münsteraner sieht auch positive Anzeichen. „Die aktuelle Situation ist eigentlich eine erfreuliche. Im November und Dezember haben wir gemerkt, dass die Talsohle wohl erreicht ist. Das liegt vielleicht daran, dass die Gas- und Strompreisbremse beschlossen wurde. Dadurch haben die Menschen das Gefühl bekommen, dass es abschätzbar wird, wie es um ihr verfügbares Einkommen bestellt ist.“
Was das Jahr 2023 bereithalte, sei trotzdem ein „Blick in die Glaskugel“, wie Radau ausführt. „Wird der Krieg in der Ukraine anhalten?“ Der Unternehmer ist aber davon überzeugt, dass sich der Trend zu Bio-Lebensmitteln verstetigen wird. „Die Leute essen etwa weniger Fleisch, wollen dafür aber bessere Qualität haben.“