Berlin. Die Situation der Kinder in der Ukraine ist dramatisch. 115 Kinder sind seit Kriegsbeginn gestorben. Sechs Millionen sind in Gefahr.

Das siebenjährige Mädchen fühlte tiefe Angst, erzählt Unicef-Sprecher James Elder in einem Videointerview mit dem britischen Fußballstar David Beckham. Beckham hat seinen Instagram-Kanal dem Hilfswerk der Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt, um dort über die Lage in der Ukraine zu berichten. Beckham folgen auf Instagram 71,5 Millionen Menschen.

Elder hatte mit dem kleinen Mädchen am Bahnhof von Lviv gesprochen, ängstlich berichtete sie von den Ratten, die neben ihr in einem Bunker saßen. Über Tage harrte sie zusammen mit ihrer Familie dort aus, um sich vor dem Angriff der russischen Truppen zu schützen. Das ist nur ein Erlebnis, mit dem sich die Traumatisierung der Kinder in der Ukraine in etwa beschreiben lässt.

Auch überließ Beckham seinen Instagram-Kanal der Leiterin einer Geburtsklinik in Charkiw. Die Ärztin mit Namen Iryna zeigt im Video den Keller ihres Krankenhauses, in denen Mütter und ihre Neugeborenen gebracht wurden: Man sieht Babys, nicht mal so lang wie ein Unterarm. Kinder, deren Leben im Krieg beginnt. Und man sieht schutzbedürftige Mütter.

Ukraine: Der furchtbare Krieg gegen die Kinder

Irpin bei Kiew: Die Wohnungen sind zerstört, jetzt helfen Soldaten bei der Rettung der Allerkleinsten.
Irpin bei Kiew: Die Wohnungen sind zerstört, jetzt helfen Soldaten bei der Rettung der Allerkleinsten. © IMAGO/MYKHAYLOX PALINCHAK/IMAGO/ZUMA WIRE
Sie rennen um ihr Leben: Ein ukrainischer Polizist hilft einem kleinen Mädchen in Irpin, vor der Artillerie zur fliehen.
Sie rennen um ihr Leben: Ein ukrainischer Polizist hilft einem kleinen Mädchen in Irpin, vor der Artillerie zur fliehen. © Emilio Morenatti/AP/dpa
Selbstverteidigung: In Lwiw lernt ein Junge in einem Kurs den Umgang mit dem Sturmgewehr AK-47.
Selbstverteidigung: In Lwiw lernt ein Junge in einem Kurs den Umgang mit dem Sturmgewehr AK-47. © Daniel LEAL / AFP
Die Flucht ist geglückt – und dann fließen bei dem Flüchtlingsmädchen im rumänischen Siret, kurz hinter der ukrainischen Grenze, die Tränen.
Die Flucht ist geglückt – und dann fließen bei dem Flüchtlingsmädchen im rumänischen Siret, kurz hinter der ukrainischen Grenze, die Tränen. © Armend NIMANI / AFP
Wie geht es weiter? Ein Junge wartet nach tagelanger Flucht über Polen am Hauptbahnhof in Berlin.
Wie geht es weiter? Ein Junge wartet nach tagelanger Flucht über Polen am Hauptbahnhof in Berlin. © Maja Hitij/Getty Images
In einem Flüchtlingslager in Przemysl an der polnischen Grenze kümmert sich ein Mädchen um sein Geschwisterchen. Trost brauchen beide.
In einem Flüchtlingslager in Przemysl an der polnischen Grenze kümmert sich ein Mädchen um sein Geschwisterchen. Trost brauchen beide. © Louisa GOULIAMAKI / AFP
In einem Kinderkrankenhaus in Kiew müssen sich die kleinen Patienten im Keller vor den Bomben schützen.
In einem Kinderkrankenhaus in Kiew müssen sich die kleinen Patienten im Keller vor den Bomben schützen. © Aris Messinis / AFP
Nach den Strapazen der Flucht werden Kinder an der ukrainisch-polnischen Grenze versorgt.
Nach den Strapazen der Flucht werden Kinder an der ukrainisch-polnischen Grenze versorgt. © Daniel LEAL / AFP
Sie kann fliehen, er muss bleiben. Ein Vater verabschiedet sich in Lwiw von seiner Tochter.
Sie kann fliehen, er muss bleiben. Ein Vater verabschiedet sich in Lwiw von seiner Tochter. © Dan Kitwood/Getty Images
Waisenkinder aus Huljaipole, einer Stadt in der Zentralukraine, nach ihrer Ankunft in Lwiw im Westen des Landes. Sie wurden aus ihrem Heim evakuiert.
Waisenkinder aus Huljaipole, einer Stadt in der Zentralukraine, nach ihrer Ankunft in Lwiw im Westen des Landes. Sie wurden aus ihrem Heim evakuiert. © EPA-EFE
Ein an Krebs erkranktes Kind in einem onkologischen Krankenhaus in Kiew hält ein Schild mit der Aufschrift
Ein an Krebs erkranktes Kind in einem onkologischen Krankenhaus in Kiew hält ein Schild mit der Aufschrift "Krieg beenden" hoch. © Aris Messinis / AFP
Kinder aus Kiew verlassen nach heftigen Bombardements ihre Heimat – mit nichts außer einer Plastiktüte.
Kinder aus Kiew verlassen nach heftigen Bombardements ihre Heimat – mit nichts außer einer Plastiktüte.
Abschiedsgruß: Ein Vater verabschiedet sich von seiner Tochter, die in einem Evakuierungszug aus Odessa sitzt.
Abschiedsgruß: Ein Vater verabschiedet sich von seiner Tochter, die in einem Evakuierungszug aus Odessa sitzt. © BULENT KILIC / AFP
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Die Ärztin aus einer Geburtsklinik in Charkiw arbeitet Tag und Nacht

Die Ärztin berichtet, dass sie inzwischen Tag und Nacht arbeitet. Wie sie sich an die Geräusche von Bomben und Raketen gewöhnen mussten. Sie sagt: „Wir riskieren hier wahrscheinlich alle unser Leben. Aber darüber denken wir nicht nach.“ Die Großstadt Charkiw liegt im Osten der Ukraine, unweit der russischen Grenze.

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Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind nach ukrainischen Angaben mindestens 115 Kinder getötet worden. Zudem seien laut Generalstaatsanwaltschaft bisher mehr als 140 Kinder verletzt worden. Die meisten Kinder seien demnach in Kiew gestorben.

Sie sterben bei Angriffen auf Schulen und anderen Lerneinrichtungen. Sie sterben in ihren Wohnungen, sie sterben beim Spiel auf der Straße. Die Hilfsorganisation Save the Children schätzt, dass angesichts der zunehmenden Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen in der Ukraine sechs Millionen Kinder in der Ukraine akut in Gefahr sind. Bis Sonntag waren 489 Schulen und 43 Kliniken beschädigt oder komplett zerstört worden. Inzwischen sei jedes fünfte Kind aus seinem Heimatland geflüchtet. Den Mädchen und Jungen, die geblieben sind, die ausharren, fehlt es an Essen, sauberem Wasser und medizinischer Betreuung. Todesangst sei zum ständigen Begleiter für die Kinder geworden.

Die Kinderwagen in der Innenstadt von Lviv sollen für die getöteten Kinder stehen, die seit Kriegsbeginn gestorben sind. Die kleine Emilia ist aus Kiew zusammen mit ihrer Familie nach Lviv geflohen.
Die Kinderwagen in der Innenstadt von Lviv sollen für die getöteten Kinder stehen, die seit Kriegsbeginn gestorben sind. Die kleine Emilia ist aus Kiew zusammen mit ihrer Familie nach Lviv geflohen. © IMAGO/ZUMA Wire | IMAGO/Daniel Carde

Die Straßen der Ukraine werden zum Schlachtfeld

„Schulen sollten ein sicherer Schutzraum für Kinder sein, kein Ort der Angst, Verletzungen oder zum Sterben“, sagte Pete Walsh, Leiter der ukrainischen Zweigstelle von Save the Children. Die Straßen des Landes würden als Schlachtfeld missbraucht.

„Die Regeln im Krieg sind sehr klar“, betonte Walsh. „Kinder sind kein Ziel, genauso wenig wie Krankenhäuser und Schulen. Wir müssen die Kinder in der Ukraine um jeden Preis beschützen. Wie viele Tote muss es noch geben, bis dieser Krieg endet?“

Die neue Direktorin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Catherine Russell, appelliert angesichts der humanitären Notlage in der Ukraine an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Angriffe seiner Armee sofort zu beenden. „Sie müssen diesen Krieg stoppen! Er ist furchtbar. Seine Auswirkungen auf Kinder sind inakzeptabel und abscheulich“, sagte Russell. Die Menschen vor Ort und die fliehenden Frauen und Kinder seien „vollkommen unschuldig“ und hätten mit dem Konflikt nichts zu tun, so Russell. „Sie haben das nicht verdient.“

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In Mariupol saßen 19 kranke Kinder zwei Wochen lang in einem Keller eines Sanatoriums fest. Es war kalt und sie konnten sich nicht waschen. Außerdem hörten die Kinder, wie in der Nähe der Klinik Raketen einschlugen. Die Kinder im Alter von vier bis 17 Jahren sind jetzt in die Stadt Donezk gebracht worden, die von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird. Ihre frühere Betreuerin Olga Lopatkina schilderte der Agentur AFP, wie sie sechs Kinder vor Kriegsbeginn in das Sanatorium in Mariupol geschickt hatte. Als schließlich der Krieg ausbrach, floh sie mit ihren verbliebenen Kindern nach Frankreich. Eines ihrer Pflegekinder in Mariupol habe sie am Sonntag angerufen und erzählt, dass die Gruppe sich nun in einer Klinik in Donezk befinde. „Ich weiß nicht, wie ich sie jetzt zurückbekommen soll“, sagte Lopatkina.

Hunderttausende Frauen und Kinder sind in den Städten eingekesselt

Auch in anderen ukrainischen Städten im Süden, Osten sowie rund um die Hauptstadt Kiew ist die Lage immer prekärer. Der Nothilfe-Koordinator des Welternährungsprogramms (WFP), Jakob Kern, sagte, hunderttausende Frauen und Kinder in eingekesselten Städten in der Ukraine könnten nicht mit Hilfsgütern versorgt werden.

Der Bürgermeister der nordukrainischen Stadt Tschernihiw, Wladislaw Atroschenko, schilderte eine „absolute humanitäre Katastrophe“ in seiner Stadt. „Dutzende Zivilisten werden getötet, Kinder und Frauen“, sagte er im Fernsehen. Es gebe „keinen Strom, keine Heizung und keine Wasserversorgung“.

Catherin Russel von UNICEF war in der vergangenen Woche von New York nach Deutschland gereist, um mit Vertretern der Bundesregierung über die Lage in der Ukraine zu beraten. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Geldgeber von Unicef.

Russell äußerte sich sehr besorgt über die Entwicklung in der Ukraine, wo die russischen Angriffe auch drei Wochen nach Kriegsbeginn am 24. Februar weitergehen. 148 Mitarbeiter von Unicef seien noch im Land, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Entlang der Fluchtrouten hat das Hilfswerk nach eigenen Angaben 26 Anlaufstellen, sogenannte „Blue Dots“, eingerichtet, um geflüchtete Menschen zu versorgen und bei bürokratischen Hürden zu vermitteln. Dabei gehe es auch darum, die Menschen zu registrieren, erklärte Russell. Die Hilfsorganisation achte darüber hinaus darauf, dass es nicht zu Menschenhandel und zur Mitnahme von Kindern durch Fremde komme. Unicef warnte, dass unter den 3,4 Millionen Kriegsflüchtlingen im Ausland 1,5 Millionen Kinder seien. Die Gefahr, dass diese Kinder Opfer von Menschenhändlern werden, sei „real und nimmt zu“.

Ukraine: Größter Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg

Vor dem russischen Angriff lebten in der Ukraine 37 Millionen Menschen in den von der Regierung in Kiew kontrollierten Regionen. Ausgenommen von dieser Zählung sind die von Russland im Jahr 2014 annektierte Krim-Halbinsel und die pro-russischen Separatistengebiete im Osten.

„Es handelt sich um den schnellsten Flüchtlingszustrom seit dem Zweiten Weltkrieg. Das ist eine große Herausforderung für die aufnehmenden Länder“, sagte Russell. Auch in Deutschland müsse man sich etwa die Frage stellen, wie und in welcher Sprache man die vielen Kinder und Jugendlichen unterrichten wolle.

Die meisten Geflüchteten wollen Russell zufolge möglichst „bald wieder nach Hause“. Aber das sei eben nicht sehr realistisch.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt