Essen. Gerhard Schröder trotzt dem Druck von SPD und Öffentlichkeit. Der Altkanzler hält an Posten und Putin fest – und scheitert an sich selbst.
Man muss Gerhard Schröder nicht mögen. Man kann ihn aber mögen. Die Agenda 2010 kann man als sozialpolitischen Sündenfall eines Brioni-Kanzlers kritisieren, der die Lebensleistung vieler Menschen mit Füßen trat. Man kann sie aber auch, trotz der handwerklichen Mängel, als eine wichtige Zukunftsentscheidung für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik Deutschlands bewerten, von der sogar Angela Merkel als Nachfolgerin im Kanzleramt viele Jahre profitierte.
So oder so gelingt es politisch Interessierten nicht, beim Namen Gerhard Schröder ruhig zu bleiben. Schröder erhöht den Puls, er polarisiert. Kantiger, bis zur Grenze des Erträglichen selbstbewusster Sozialdemokrat, Basta-Kanzler, Macher. Oder Kanzler der Bosse, Verräter der SPD, Verräter des kleinen Mannes. Auf jeden Fall aber ein Mann, der sich in diesen Tagen des Ukraine-Kriegs moralisch diskreditiert und sein Lebenswerk zerstört.
Der Traum vom großen Geld
Über Schröder ist einiges bekannt. Schwere Kindheit, Armut, später Jura-Examen, von einem unbändigen Ehrgeiz getrieben. In Bonn rüttelte er als junger Mann am Zaun des Kanzleramts, früher auf dem Fußballplatz kannte er mit den Gegenspielern keine Gnade. Sie nannten ihn „Acker“, er wollte nie aufgeben. Manche erschraken, manche richteten sich an ihm auf. Wie später in der Politik. Was Schröder nie war und nie sein wollte: bescheiden, zurückhaltend, angepasst. Schröder liebt es, vor Publikum aufzutreten. Vorher genehmigt er sich in der Regel einen Tropfen, dann geht er raus. Schröder ist das, was man eine Rampensau nennt.
Und doch, im Kern, blieb der Mann, der immer von der weiten Welt und dem großen Geld träumte, ein Kumpeltyp. In der SPD war der Niedersachse bestens vernetzt. Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier arbeitete in Hannover als Büroleiter des Ministerpräsidenten Schröder, später leitete er unter ihm das Bundeskanzleramt. Ex-Außenminister Sigmar Gabriel aus Goslar wurde von Schröder gefördert, ebenso der aktuelle Ministerpräsident Stephan Weil. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil aus Peine gehörte damals zur „Niedersachsen-Mafia“, wie es aus anderen SPD-Landesverbänden manchmal hieß. SPD-Chef Lars Klingbeil arbeitete einst im Wahlkreisbüro für Gerhard Schröder und galt stets als „Schröderianer“. Der heutige VW-Cheflobbyist Thomas Steg war damals als Berater und später als Regierungssprecher einer seiner engsten Vertrauten.
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Der überzeugte Sozialdemokrat Steg hatte im beschaulichen niedersächsischen Dorf Adenbüttel nahe Braunschweig ein Haus gebaut, sein Bruder Henning war Bürgermeister und Besitzer der Dorfgaststätte Michels. Nach einem Wahlkampf-Auftritt in Wolfsburg tauchten Thomas Steg und Gerhard Schröder plötzlich in der Kneipe auf, aßen Currywurst und liebten das Leben. Hier fühlte sich Schröder wohl. Klare Kante, dumme Sprüche, laues Lachen, Menschen, die an seinen Lippen hingen. Da störte es ihn auch nicht, dass Gastwirt Henning ein CDU-Bürgermeister war, das einzige CDU-Mitglied der Familie Steg („Ich bin hier das schwarze Schaf“).
Das, was ihn einst groß gemacht hat - das isoliert ihn nun
Schröder war in der Politik knallhart, oft rücksichtslos. Egoistisch, egozentrisch, zugleich neugierig und machtversessen. Und immer wieder wollte er beweisen, dass er besser war als die anderen. Er war der Genosse der Bosse, der Mann der teuren Zigarren und der exklusiven Anzüge. Und zugleich konnte er an jedem Kneipentisch sitzen und einer von denen sein, die dort ein normales Leben führten.
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Der Ehrgeiz, der Drang nach Geld und Bedeutung, nach der Nähe zu den Großen, Schönen und Wichtigen ließ ihn aber nie los. Schröder war immer ein Grenzgänger. Im Wahlkampf 2002 machte er sich gern über seinen Kontrahenten Edmund Stoiber lustig. Ein disziplinierter, fleißiger Mann, ein „Aktenfresser“. Schröder lachte laut los, wenn er erzählte, dass Stoibers Wecker angeblich an jedem Morgen um kurz vor 6 Uhr ging, damit er die Frühnachrichten hören und sich gegebenenfalls im Frühprogramm interviewen lassen konnte. Das wäre keine Uhrzeit für Schröder gewesen. Und ein Interview zu so früher Stunde war ein Risiko, denn er genehmigte sich schon damals gern mal Rotwein zum Feierabend.
Heute ist Schröder völlig isoliert. Seine Vertrauten haben sich nachvollziehbar abgewandt. Der Bundeskanzler a.D. zerstört gerade sein Lebenswerk, weil er sich am Ende eines langen Laufs nicht von Kriegstreiber Wladimir Putin und den bestens dotierten Posten in russischen Konzernen trennen will. Damit legitimiert Schröder indirekt das tausendfache Morden seines vermeintlichen Freundes.
Gerhard Schröder, der alte, starrsinnige, uneinsichtige Mann, dessen Verhalten unerklärlich und durch nichts zu rechtfertigen bleibt, scheitert gerade an sich selbst. An seiner Persönlichkeit, die ihn einst zum Bundeskanzler werden ließ. Die Freunde verzweifeln und senken den Kopf, die Gegner haben ihm dieses Schicksal gewünscht. Tragisch ist es trotzdem.