Berlin. Von wegen langweilig, sagt der Karikaturist über Merkel. Der Flüchtling ist ergriffen wie das Double. Und der politische Partner?
Es sind Menschen, die Geschichte geschrieben haben – als Wegbegleiterin oder Wegbegleiter von Angela Merkel. Zum Beispiel der syrische Flüchtling, dessen Selfie mit Kanzlerin 2015 um die Welt ging. Oder die Doppelgängerin, die es gelernt hat, sich in sie hineinzuversetzen. Der Karikaturist, der lernen musste, dass sich aus ihrem stillen Wesen viele Bilder schaffen lassen. Das SPD-Urgestein, das von der frühen Kanzlerin überrascht wurde. Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählen sie ihre Geschichte. Lesen Sie auch: Abschied nach 16 Jahren: Was bleibt von Angela Merkel?
Heiko Sakurai über „meine Merkel“
Zum ersten Mal zeichnete ich Angela Merkel im Sommer 1998, da war sie noch „Kohls Mädchen“ und in seinem Kabinett Umweltministerin. Sie trug damals noch ihre glatt abgeschnittene Prinz-Eisenherz-Frisur mit Pony und war schmaler, aber im Grunde zeichne ich sie heute immer noch ähnlich: Das Wichtigste in ihrem Gesicht sind für mich ihre halbgeschlossenen Augen und der Mund mit den ausgeprägten Mundwinkeln. Wenn ich mir rückblickend „meine Merkel“ anschaue, so bin ich mit ihr ungefähr seit 2012/13 richtig zufrieden.
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Also hat es fast die ganze erste Hälfte ihrer Regierungszeit gedauert, bis ich sie zeichnerisch völlig im Griff hatte – oder vielleicht auch, bis sie optisch völlig ausentwickelt war, denn auf Fotos ihrer ersten Amtsjahren finde ich sie auch noch nicht so typisch. In ihren Jahren als Oppositionsführerin hatte ich Zeit, sie zu üben, aber trotzdem änderte sie sich, als sie Kanzlerin wurde, vielleicht auch, weil sie erst kurz zuvor ihren endgültigen Look (Frisur und Hosenanzüge) gefunden hatte.
Was vorher als Schwäche, Farblosigkeit und auch Unsicherheit angesehen wurde, mutierte nun zu Souveränität, Zurückhaltung und Uneitelkeit – und besonders die letzten beiden Attribute hoben sie sehr von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder ab. Im Grunde ebneten ihr diese Eigenschaften, zusammen mit großer Belastbarkeit, Sinn für Pragmatismus und starken Nerven, den Weg zu vier Kanzlerschaften. Auch, weil die Deutschen genau dies lange an ihr schätzten: „Sie kennen mich.“ Auch interessant: Angela Merkel: So viel Rente bekommt die Bundeskanzlerin
Für mich als Karikaturisten gilt im Blick auf die Kanzlerin Merkel, dass stille Wasser tief sind: Langweilig fand ich sie nie, ich konnte (und musste) mehr Bilder aus ihrem Wesen schöpfen, als ich jemals gedacht hätte. Dass sie nun geht, ist – ganz unabhängig von der Bewertung ihrer Ära – gut, denn 16 Jahre Kanzler(innen)herrschaft sind eigentlich zu lang, Aber klar ist auch, dass ich sie ein bisschen vermissen werde.
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Anas Modamani: Sein Selfie mit Merkel ging 2015 um die Welt
Als Angela Merkel damals am 10. September 2015 in unsere Flüchtlingsunterkunft kam, wusste ich nicht, dass sie die deutsche Kanzlerin ist. Ich kam gerade vom Einkaufen zurück und sah ganz viele Fotografen, die sich um eine Frau drängelten.
Weil ich sehr gerne fotografiere, habe ich mich neben die Frau gestellt und ein Selfie gemacht. Ein Sicherheitsbeamter wollte das verhindern, aber Merkel hat gesagt: „Schon in Ordnung.“
Diese Szene hat auch ein Fotograf aufgenommen und das Bild veröffentlicht. In den Stunden danach bekam ich plötzlich lauter Nachrichten und Freundschaftsanfragen auf Facebook. Syrische Freunde haben mir geschrieben, mit wem ich auf dem Foto war: Mit der Chefin von Deutschland.
Modamani: Foto mit Merkel hat sein Leben verändert
Der Moment mit Merkel hat mein Leben verändert. Ich habe wegen des Fotos meine Gastmutter Anke kennengelernt, bei deren Familie ich eine Zeit lang gelebt habe. Ich habe viele Medienanfragen aus der ganzen Welt bekommen und habe meine Geschichte als Flüchtling aus Syrien erzählen können.
Das alles hat mich motiviert, die Sprache besser zu lernen und mich für Politik zu interessieren. Wie auch der Satz von Merkel: Wir schaffen das. Weil ich das realisieren möchte, habe ich angefangen, Wirtschaftskommunikation zu studieren.
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Mein Ziel ist es, Deutscher zu werden. Ich habe Angst, dass nach Merkel jemand kommt, der alle Flüchtlinge rausschmeißen möchte. Ich aber möchte mir hier eine Existenz aufbauen, mein Studium abschließen und mit meiner Freundin eine Familie gründen. Ich finde, Merkel war eine tolle Kanzlerin. Sie hat so hart gearbeitet wie zehn Männer, musste viele wichtige Entscheidungen treffen und viel Kritik aushalten.
Persönlich habe ich sie nach dem Selfie nur noch ein Mal gesehen. Bei einem Konzert in der Philharmonie, aber nur aus der Ferne. Das Foto von ihr und mir hat auch immer wieder Hass ausgelöst. Auf Facebook haben rechte Gruppen behauptet, ich sei der Attentäter von Brüssel. Ich habe Facebook verklagt, weil sie eine Verbreitung dieser Lüge zugelassen haben. Trotzdem habe ich nie bereut, dass Foto gemacht zu haben. Lesen Sie auch: Merkel-Biografie: Womit die Kanzlerin Armin Laschet beeindruckte
Sieht aus wie Angela Merkel, ist es aber nicht: Double Ursula Wanecki
„Die Zeit mit unserer Bundeskanzlerin war wirklich schön – und es war eine sehr abenteuerliche Reise für mich. Die Rolle als Merkel-Double hat mich auch politisch und intellektuell sehr beeinflusst, denn für mich hat sich eine ganz neue Welt geöffnet. Das hätte ich mir nie erträumen lassen.
Früher hätte ich niemals gedacht, dass ich einmal das Double der mächtigsten Frau der Welt sein werde. Es war schön, aber es war auch stressig natürlich – trotzdem ist es mir nie schwergefallen, in die Rolle zu schlüpfen. Dann habe ich mir einen Blazer und eine Stoffhose aus dem Schrank geholt, bin rausgegangen und war Merkel. Auch interessant: Merkel: Diesen Fehler beim Klimawandel bereut sie heute
Ich würde mir wünschen, Frau Merkel einmal persönlich zu treffen. Ich stelle mir immer vor, dass wir dann einfach in einem Café sitzen und darüber reden, was wir jetzt für die Rente planen. Ich würde sie dann fragen: Frau Bundeskanzlerin, wie geht’s Ihnen?“
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Franz Müntefering hatte zunächst Merkel ihre Souveränität nicht zugetraut
Angela Merkel wurde 2005 mit der SPD als Partnerin Kanzlerin, nachdem sie ihre angekündigte Reform „neue soziale Marktwirtschaft“ aufgegeben hatte – diese war für die SPD zu Arbeitnehmerrechten, Gesundheit und Pflege inakzeptabel gewesen. Merkel ging dann einen konservativ-liberal-sozialen Weg.
Souveräner als anfangs erwartet. In der Europa- und internationalen Politik generell wurde sie ein glaubwürdiger, stabilisierender Faktor. Ihr Abgang misslingt für ihre Partei. Weil sie einen Wechsel nicht rechtzeitig organisierte. Weil Olaf Scholz überzeugt. Armin Laschet nicht.Ich wünsche der scheidenden Bundeskanzlerin gute Gesundheit und einen weiterhin spannenden Lebensweg. Lesen Sie auch: Merkel-Doku: Als die Kanzlerin noch zur SPD wollte