Rheine. Simona Reinertz ist lungenkrank. In ihrer Wohnung schimmelt es, der Putz bröckelt. Sie findet selbst auf dem Land keine neue Wohnung.

Wer durch die Hintertür des alten Hauses mitten in Rheine tritt, fühlt sich an eine Baustelle erinnert. Große Stützen fixieren Platten, die provisorisch Löcher in der Decke abdecken. Neben einem kleinen Fenster bröselt der Putz zu Boden. Überall im Haus finden sich Risse. Auf der Eingangstreppe. In den Badezimmerfließen. An den Wänden.

Simona und Marc Reinertz sorgen sich, dass ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Im wortwörtlichen Sinne. Seit fünf Jahren wohnen sie in dem Haus in Rheine zusammen mit ihren beiden erwachsenen Söhnen, zwei alten Golden Retrievern und zwei Wohnkatzen.

Miete: Wenn einem die Decke auf den Kopf fällt

Auf den ersten Blick haben sie es gut getroffen. Rheine, mit 80.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt im Münsterland und malerisch an der Ems an der Grenze zu Niedersachsen gelegen, ist ländlich geprägt, bietet aber alles, was man zum Leben braucht. Blickfang ist die St.-Antonius-Basilika in der Innenstadt. In deren Schatten die Familie Reinertz wohnt.

Sechs Zimmer auf zwei Etagen, dazu ein großer Außenbereich, ein Keller, zwei Garagen – für 550 Euro kalt im Monat. Zwar sind die Nebenkosten in dem 1900 erbauten Gebäude hoch, mit rund 1200 Euro Warmmiete im Monat leben die Reinertz gemessen an Lage und Größe dennoch preiswert.

Stützpfeiler im Flur

Doch vor Kurzem wurde das Gebäude gegenüber, ein ehemaliger Aldi-Markt, abgerissen. Während der Bauarbeiten stellte Simona Reinertz fest, dass plötzlich in ihrem Mietshaus der Putz von der Decke bröckelte. „Das ganze Gebäude ist abgesackt, Risse und Löcher sind entstanden. Da habe ich es mit der Angst zu tun bekommen“, erzählt sie.

Sie und ihr Mann hätten versucht, mit den Bauarbeitern Kontakt aufzunehmen, kamen nicht weiter. Erst als sie mit dem Ordnungsamt und der Polizei drohten, wurden die Arbeiten gestoppt, eine Ortsbegehung fand statt. Seitdem stehen die massiven Stützpfeiler im Flur. Sie dienen den Reinertz nun als provisorische Garderobe. „Man darf den Humor nicht verlieren“, sagt Marc Reinertz trocken. Doch bei allem Zynismus wollen die Reinertz vor allem eines: raus aus diesem Haus.

Simona Reinertz steht in ihrer Mietwohnung in Rheine neben einem zum Kleiderständer umfunktionierten Stützpfeiler, der die Decke hält.
Simona Reinertz steht in ihrer Mietwohnung in Rheine neben einem zum Kleiderständer umfunktionierten Stützpfeiler, der die Decke hält. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Selbst auf dem Land findet die Familie kein neues Zuhause

Nur finden sie nichts. Hohe Mieten galten lange als ein Problem der großen Städte. Doch die Situation verschärft sich auch außerhalb der Metropolen. Die Reinertz würden gern aufs Land ziehen, sie haben lange auf einem Bauernhof gewohnt. Aber das Angebot ist rar. „Auf dem Land verkaufen viele ihre Immobilien lieber, anstatt sie zu vermieten“, berichtet Marc Reinertz. „Und in der Stadt werden fast nur noch Neubauten angeboten, die nicht zu bezahlen sind.“

Das Problem immer höherer Wohnkosten konnte die jetzige Bundesregierung nicht lösen, im Gegenteil. Immer wieder demonstrierten zuletzt Tausende Menschen gegen zu hohe Mieten und Verdrängung. Der Deutsche Mieterbund fordert zusammen mit weiteren Verbänden einen bundesweiten Mietenstopp.

In Berlin wurden die Mieten zeitweise gedeckelt, ehe das Bundesverfassungsgericht das umstrittene Instrument kippte. Und Wohnen wird wohl absehbar noch teurer werden. Sollen die Klimaziele erreicht werden, muss saniert werden. Die Kosten werden zumindest zum Teil auf die Mieter umgelegt.

Mehr als die Hälfte des Einkommens wird für Wohnkosten ausgegeben

Der Neubau soll die angespannte Situation auf dem Markt entlasten. Rund 1,2 Millionen geförderte neue Wohnungen entstanden in der vergangenen Legislaturperiode. Doch die Effekte kommen noch nicht ausreichend an.

Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gibt knapp jeder vierte Großstadthaushalt mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens für das Wohnen aus, jeder achte mehr als die Hälfte. Die Folge: Fast 1,1 Millionen Haushalte bleibt der Studie zufolge nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminium zum Leben. Besonders betroffen sind demnach Alleinerziehende.

Der Anspruch auf eine Sozialwohnung hilft Familie Reinertz nicht weiter

Auch die Reinertz geben mehr als die Hälfte ihres Haushaltsnettoeinkommens für das Wohnen aus. Dabei strebt die Bundesregierung das Ziel an, dass Haushalte maximal ein Drittel ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen. Familie Reinertz kommt damit nicht hin.

Knapp 2000 Euro netto pro Monat bleiben Marc Reinertz für seinen Job als Lkw-Fernfahrer, Simona Reinertz arbeitet in einem Minijob und kümmert sich um den Haushalt. Sie hätten damit einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und eine Sozialwohnung. „Aber es gibt hier quasi keine Sozialwohnungen. Und frei werdende schon gar nicht“, sagt Marc Reinertz. Tatsächlich sinkt die Zahl der Sozialwohnungen bundesweit seit Jahren, 2020 um rund 26.000 Wohnungen.

Hoffnung auf eine funktionierende Mietpreisbremse

Die Reinertz hoffen, dass die künftige Bundesregierung reagiert. „Wir brauchen eine funktionierende Mietpreisbremse oder einen Mietendeckel. Es kann doch nicht sein, dass man nur noch Wohnungen mit zehn Euro pro Quadratmeter findet“, sagt Simona Reinertz.

Die Familie stöbert derzeit auf Immobilienportalen nach neuen Wohnungen. Freunde haben sie gebeten, bei der Wohnungssuche zu helfen. Doch sie finden nichts. „Bei den wenigen Gelegenheiten, in denen günstiger Wohnraum angeboten wird, melden sich die Vermieter spätestens nicht mehr zurück, wenn sie hören, dass wir Tiere haben“, sagt Simona Reinertz. Weggeben aber wollen sie ihre Tiere nicht, die beiden Hunde Sam und Tyson leben seit 13 beziehungsweise 15 Jahren mit ihnen zusammen.

Simona und Marc Reinertz sind auf der Suche nach einer neuen Wohnung.
Simona und Marc Reinertz sind auf der Suche nach einer neuen Wohnung. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Schimmel verwandelt Keller in ein Gruselkabinett

Für Simona Reinertz ist die aktuelle Situation nicht nur belastend, sondern auch gefährlich für ihre Gesundheit. Die 47-Jährige hat chronisches Asthma und COPD, ihre Lungenfunktion beträgt nur noch 42 Prozent. Kurz nach ihrem Einzug fiel im Keller ein Fenster aus der Wand. Sie gab dem Vermieter Bescheid.

Das Fenster wurde ersetzt, dabei aber zugenagelt und lässt sich nicht mehr öffnen. Seitdem ist der Keller feucht. Wer ihn betritt, findet ein Gruselkabinett vor. Die Wände sind überzogen von weißem und schwarzem Schimmel. Ein alter Schrank ist komplett durchgeschimmelt.

Selbst die Spinnen hat der Schimmel getötet, sie baumeln mumifiziert in den weißen Flocken ihrer Netze. Die Reinertz haben den Keller leer räumen müssen, der Inhalt füllt nun die Garage. Simona Reinertz kann den Keller gar nicht mehr betreten, zu gefährlich ist es für ihre Lunge. Auch die steile Treppe ins Obergeschoss kann sie nicht mehr nehmen. Von ihrem großen Haus bleibt ihr nur das Erdgeschoss.

Marc Reinertz vor der schimmeligen Kellerwand. Simona Reinertz kann den Keller gar nicht mehr betreten.
Marc Reinertz vor der schimmeligen Kellerwand. Simona Reinertz kann den Keller gar nicht mehr betreten. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Vermieter habe Hilfe angeboten

Bessern wird sich der Zustand des Hauses nicht mehr. Der Vermieter, der für eine kurzfristige Stellungnahme nicht zu erreichen war, habe den Reinertz bereits angekündigt, es in ein paar Jahren abreißen zu wollen, sobald sie ausgezogen sind, berichten Simona und Marc Reinertz.

Ihr Vermieter habe ihnen sogar angeboten, ihnen beim Umzug zu helfen, beispielsweise Maklerkosten zu übernehmen oder auch bei der Kaution der neuen Wohnung entgegenzukommen. Dafür müssten die Reinertz aber erst mal eine neue Wohnung finden.