Weimar. Wer hofft auf eine neue Politik? In dieser Folge unserer Serie erzählt ein Familienvater, was er von der nächsten Regierung erwartet.

Das Wort alleinerziehend mag Carsten Vonnoh nicht. In der Ecke seines Gartens, direkt unter dem Walnussbaum, hat er den Tisch gedeckt. Jule, seine sechsjährige Tochter, rückt die Kuchenteller alle an einen anderen Platz, bis sie der Meinung ist, dass nun alles richtig steht. Bevor sie wieder um die Ecke in das alte Fachwerkhaus rennt, um mit einer weiteren Kuchengabel zurückzukommen, sichert sie ihrem jüngeren Bruder erst noch einen Pfannkuchen. „Der ist für Rafi“, ruft sie. Der macht noch Mittagsschlaf.

Vonnoh mag das Wort „getrennt-erziehend“ lieber, er findet, das trifft es viel besser, er ist ja nicht allein. Die Erziehung teilt sich der 35-Jährige mit der Mutter, auch wenn sie bei Halle lebt und er in der Nähe von Weimar. Gerade hat er Jule und Rafi die ganze Woche, denn die Mutter habe die Chance, sich „beruflich weiterzuentwickeln“.

Viel mehr sagt Vonnoh zur Mutter nicht. Auch die richtigen Namen und Fotos der Kinder möchte Vonnoh nicht in der Zeitung sehen. Er möchte sie lieber schützen, da alles im Internet für immer bleibt. Heute soll es um ihn gehen, den Vater.

Carsten Vonnoh ist Familienvater und Coach. Er erhofft sich mehr Unterstützung von der nächsten Bundesregierung.
Carsten Vonnoh ist Familienvater und Coach. Er erhofft sich mehr Unterstützung von der nächsten Bundesregierung. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Familienvater ermutigt andere Männer zu Beruf und Familie

Von Anfang an war es Carsten Vonnoh wichtig, so viel Zeit wie möglich mit seinen Kindern zu verbringen. Er hat das nicht nur so gesagt. Er hat auch viel dafür getan. Neben der Erziehung, die er allein stemmt, hat er sich eine neue Karriere aufgebaut. Er coacht Väter.

Der 35-Jährige strebt nach dem, was so viele Männer und Frauen wollen: die gesunde Mischung aus Familienleben und Beruf, eben eine Work-Life-Balance. Wer mit ihm und seinen Kindern einen Nachmittag verbringt, hat den Eindruck, dass Vonnoh diesem Ziel schon sehr nahe ist. Er möchte noch mehr Männer ermutigen, sich für diesen Weg zu entscheiden. Für Beruf – und für die Familie. Die Kinder.

Weitere Teile der Bundestagswahl-Serie: Wer hofft auf eine neue Politik?

Bevor seine Kinder kamen, war Vonnoh viele Jahre in der Entwicklungshilfe tätig, reiste in Länder wie Liberia, Osttimor und Peru. Als dann vor sechs Jahren seine Tochter und ein Jahr später sein Sohn geboren wurden, wollte er da sein. „Insgesamt 30 Monate Elternzeit habe ich für beide Kinder genommen, war aber zwischendurch immer als Freiberufler tätig.“ Dass inzwischen mehr Väter in Deutschland Elternzeit nehmen, zeigen aktuelle Statistiken. Allerdings: Männer mit 3,7 Monaten immer noch viel weniger als Frauen, die im Durchschnitt 14,5 Monate in Elternzeit gehen.

Familie: Ohnmacht gegenüber dem, was die Kinder einfordern

Vonnoh hat den Anspruch, die Vaterrolle „voll auszufüllen“, will nicht nur als „unterstützende Randfigur“ fungieren, wie er selbst sagt. Er findet, dass in Deutschland noch viel zu wenig Männer ihre Rolle als Vater annehmen. Vor vier Jahren hat er begonnen, als Familienberater und Vätercoach zu arbeiten.

Viele Väter, die oft als Hauptverdiener mehr als 40 Stunden arbeiten, erst abends nach Hause kommen und sich dann kümmern sollen, erfahren häufig eine Ohnmacht gegenüber dem, was die Kinder einfordern. „Bei einigen entsteht dann Wut oder sie ziehen sich aus der Situation zurück“, weiß Vonnoh.

Er hat oft mit Männern zu tun, die nicht wissen, wie sie mehr Nähe zu ihrem Kind herstellen können. Denn er erlebt bei seiner Arbeit immer wieder viele Väter, die sich erst entscheiden, zu Hause zu bleiben, wenn das Kind größer ist. Er rät, gleich zu Beginn dieselbe Verantwortung wie die Mutter zu übernehmen, indem auch der Vater eine 14-tägige Freistellung direkt nach der Geburt in Anspruch nehmen sollte.

Hier fordert der 35-Jährige die Politik auf, analog zum Mutterschutz auch den „Partnerschutz“ anzubieten. „Es geht darum, sich als Paar gemeinsam entlasten zu können. Natürlich sollte auch die Bindung zum Kind von Anfang an aufgebaut werden.“

Familie: Vater fordert bessere Regelungen

Jetzt steht die Bundestagswahl bevor, die Parteien wettstreiten mit Steuerfreibeträgen für Alleinerziehende, stocken wegen der Pandemie Kinderkrankentage auf, fordern mehr Betriebskitas oder streben eine „Kindergrundsicherung“ an. Spricht das Vonnoh an? Der 35-Jährige wünscht sich mehr und plädiert dafür, Vätern die Chance zu bieten, mindestens vier Monate Elternzeit zu nehmen, ohne dass die Familie starke finanzielle Einbußen erleidet.

„Für die Zeit danach sollte ein Übergangsmodell geschaffen werden, indem der Arbeitseinstieg beispielsweise zunächst mit einer 30-Stunden-Woche festgelegt ist.“ Bei vielen Arbeitgebern müsste dazu erst ein Umdenken stattfinden. Familie muss mitgedacht werden. So wichtig werden wie Exportpläne, Bilanzen oder Börsengänge.

Politik soll attraktive Angebote schaffen

Die Politik könnte Unternehmen bei diesem Umbruch helfen, findet Vonnoh. Indem Angebote geschaffen werden, die auch für den Arbeitgeber attraktiv sind. Er hat die Erfahrung gemacht, je ausgeglichener das Verhältnis der Väter zwischen Familie und Beruf ist, desto bessere Führungskräfte können sie sein.

Mit Blick auf den zweiten Corona-Herbst ruft er die Politiker auf, eine Schließung der Einrichtungen vorher besser abzuwägen. „Im vergangenen Jahr schien es, als wäre es lediglich ein Abwägen zwischen Virologen und Wirtschaftsvertretern.“ Für Vonnoh ist das der wichtigste Baustein moderner Familienpolitik: die Betreuung der Kinder. „Es muss in den Kindergärten viel mehr Fachkräfte geben. Der Betreuungsschlüssel ist, wenn man die Ferien- und Krankheitszeiten hinzuzieht, zu gering.“

Der 35-Jährige hat aber nicht nur Forderungen an die Politik – sondern auch an die Frauen. „Dazu gehört die Bereitschaft der Mütter, ihrem Partner mehr Freiraum zu geben, damit der sich einbringen kann“, sagt er. Vielen Frauen würde das immer noch schwerfallen.