Berlin. Beobachter debattieren, ob die Grünen ihre angeschlagene Kanzlerkandidatin austauschen sollten – doch das wäre ein fatales Signal.

Man habe sich ja nicht auf einen Schönwetter-Wahlkampf vorbereitet, hört man seit Tagen von Grünen-Politikern, wenn man nach dem Stand der Kampagne fragt, es sei ja klar gewesen, dass es hart werden würde in diesem Jahr. Aber so hart, so früh, damit haben dann wohl doch viele nicht gerechnet.

Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht nach einer Reihe von Fehltritten und Blamagen derart im Feuer, dass die ersten Beobachter debattieren: Sollten die Grünen versuchen zu retten, was zu retten ist – und statt Baerbock Co-Parteichef Robert Habeck ins Rennen um das Kanzleramt schicken?

Grüne: Wechsel zu Habeck würde mehr schaden als nutzen

Theresa Martus kommentiert den Wahlkampf der Grünen.
Theresa Martus kommentiert den Wahlkampf der Grünen. © Reto Klar | Reto Klar

Die Aussicht mag auf den ersten Blick verlockend sein für diejenigen, die der Partei gewogen sind oder ihr sogar angehören. Mit Habeck hätte man einen Kandidaten, dem keine unselige Diskussion um Lebensläufe und ungekennzeichnete Zitate anhängt. Regierungserfahrung, die Habeck anders als Baerbock mitbrächte, gäbe es als Argument zusätzlich noch dazu.

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Doch realistisch ist ein solcher Wechsel nicht – denn der Schaden, den die Grünen sich und ihrem Projekt damit zufügen würden, wäre noch deutlich größer als alles, was derzeit passiert.

Keine drei Monate vor der Bundestagswahl wäre es ein Eingeständnis des Versagens. Die Partei stünde nicht nur als unprofessionell da, weil eine grundlegende Prüfung der Bewerberin auf Schwachstellen offenbar ausgeblieben ist. Sie müsste auch ihren Mitgliedern, Wählerinnen und Wählern erklären, dass sie in sie in dem Moment, wo sie eine echte Chance aufs Kanzleramt hatte, nicht in der Lage war, die beste Kandidatin auszuwählen. Für die Zehntausenden Grünen, deren Engagement und Enthusiasmus die Partei im Wahlkampf braucht, wäre es ein frustrierendes, demoralisierendes Signal – und keine gute Basis für den Wahlkampf.

Vor allem aber müsste eine Partei, für die Feminismus zum Wesenskern gehört, und die sich eben noch dafür feierte, ihre erste Bewerberin fürs Kanzleramt aufgestellt zu haben, sich zurecht den Vorwurf gefallen lassen, im entscheidenden Moment nicht hinter einer der ihren zu stehen.

Austausch wäre ein Akt politischer Brutalität

Baerbock jetzt auszutauschen, wäre ein bemerkenswerter Akt politischer Brutalität. Für die Kandidatin wäre es eine Niederlage, von der sie sich kaum erholen könnte – denn für welches Amt will man sich in Zukunft empfehlen, wenn die erste echte Feuerprobe so ausgeht? Und die Partei würde mit einem solchen Manöver würde jene bestätigen, die ihr ohnehin vorwerfen, dem Streben nach Macht fast alles unterzuordnen, einschließlich der eigenen Prinzipien.

Nicht zuletzt gibt es berechtigte Zweifel, ob ein Wechsel den Grünen am Wahltag tatsächlich etwas bringen würde. Ein Kandidat Habeck hätte nicht dieselben Schwachstellen wie Baerbock, aber angreifbar wäre auch er. Lange bevor Baerbock in die Schusslinie geriet, war es Habeck, der mit Wissenslücken zur Pendlerpauschale auffiel und sich dafür entschuldigen musste, weil er Thüringen versehentlich abgesprochen hatte, ein demokratisches, freies Land zu sein. Und dass die politische Konkurrenz den Grünen gegenüber rücksichtsvoller würde, wenn es gegen Robert statt Annalena geht, davon ist nicht auszugehen.

Im Gegenteil, ein Austausch wäre der Beweis, dass die Grünen die Nerven verlieren, wenn der Gegenwind stark wird – ihre Gegner dürfte das eher anspornen. Und Empfehlung für eine Regierungsbeteiligung wäre es sicher nicht.

Wenn die Grünen jetzt also hinter ihrer angeschlagenen Kandidatin die Reihen schließen, ist das gleich aus mehreren Gründen richtig. Auch wenn der eine oder die andere von einem Paralleluniversum träumen mag, in dem man sich für Habeck entschieden hat.