An Rhein und Ruhr. Der Islamverband Ditib soll den Islamunterricht an NRW-Schulen mitgestalten. Nun kritisiert auch Grünen-Politiker Cem Özdemir die Kooperation.

Als Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am vergangenen Montag ein neues Kapitel in der Geschichte des islamischen Religionsunterrichtes aufschlug, sprach sie von nicht weniger als einem „Meilenstein“ und „einem neuen wichtigen Schritt“. Es gibt allerdings nicht wenige Kritiker, die befürchten, dass der eingeschlagene Weg in die falsche Richtung führen könnte. Grund: die Zusammensetzung der Kommission, die künftig den islamischen Religionsunterricht gestalten sollen.

Unter den sechs Verbänden in der Kommission finden sich vor allem äußerst konservative Verbände, allen voran die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“, kurz Ditib und die Islamische Religionsgemeinschaft (IRG) NRW.

Die Ditib ist mit ihren rund 300 Moscheegemeinden der größte Islamverband in Nordrhein-Westfalen und untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Die Ditib stand in der Vergangenheit immer wieder wegen ihrer Nähe zur türkischen Regierung in der Kritik, weswegen die Landesregierung die Kooperation mit dem Verband mehrere Jahre auf Eis gelegt hatte.

Milli Görüs wird vom Verfassungsschutz beobachtet

Nun habe der Ditib-Landesverband jedoch durch eine Satzungsänderung seine Ferne zum türkischen Staat erklärt, begründet das Schulministerium die Neuaufnahme der Zusammenarbeit.

Die Islamische Religionsgemeinschaft wiederum ist der Landesverband des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland, dessen wichtigstes Mitglied die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs ist. Laut Landesinnenministerium wird die Milli-Görüs-Bewegung wegen „ihres antidemokratischen und antisemitischen Weltbildes durch die Verfassungsschutzbehörden beobachtet“.

Progressive Verbände wie der Liberal-Islamische Bund wurden hingegen aus formalen Gründen nicht in die Kommission aufgenommen.

Nach der Bekanntgabe der Kommissionsmitglieder entzündete sich die Kritik vor allem an der Beteiligung von Ditib. Die Junge Union, die Jungen Liberalen, die Grünen und die Kurdische Gemeinde Deutschlands halten die Entscheidung für falsch, in der CDU-Landtagsfraktion wächst Skepsis.

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„Zu glauben, dass Ditib wegen einer Ergänzung in ihrer Satzung plötzlich losgelöst vom starken politischen Einfluss aus Ankara agiert, empfinde ich als bildung- und gesellschaftspolitische Naivität“, so der JU-Landesvorsitzende Johannes Winkel.

Auch die FDP-Jugend ist empört. Die Landesregierung müsse auch „weiterhin klare Kante gegen Ditib zeigen“, fordert Alexander Steffen, der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen.

Grüne: Nicht von Satzungsänderung blenden lassen

Die Grünen halten es vor dem Hintergrund der jüngsten antisemitischen Äußerungen des türkischen Präsidenten, aber auch der antisemitischen Vorfälle in NRW-Städten, „an denen ganz klar ersichtlich auch türkische Nationalisten beteiligt waren“ für „nicht akzeptabel“, dass Ditib in die Kommission einziehen soll, so die integrationspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Berivan Aymaz. Von der Satzungsänderung solle sich die Landesregierung nicht blenden lassen, so Aymaz weiter: „Das wäre naiv.“

Cem Özdemir: Nordrhein-Westfalen „gibt Erdogan Zugang zu Schulen“

Auch der Grünen-Politiker Cem Özdemir kritisierte die geplante Wiederaufnahme der Kooperation der nordrhein-westfälischen Landesregierung mit der Islam-Organisation Ditib bei der Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts scharf. „Ich könnte vor Wut explodieren und verstehe die Naivität nicht“, sagte Özdemir der „Welt am Sonntag“. Ditib sei Teil einer hierarchischen Organisation, deren Zentrale in Köln der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara unterstellt sei. „Und die bekommt ihre Anweisungen vom türkischen Staatspräsidenten.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und die CDU dort haben dafür gesorgt, dass Erdogan Zugang zu deutschen Schulen bekommt. Das ist unfassbar“, so Özdemir weiter. Nordrhein-Westfalen verrate gerade diejenigen islamischen Gruppen, „die sich zum Grundgesetz und zu unserer offenen Gesellschaft bekennen“.

FDP-Landtagsfraktion unterstützt Entscheidung der Schulministerin

Die FDP-Landtagsfraktion hingegen unterstützt die Entscheidung der Schulministerin. Durch die Satzungsänderung sei „ein Neuanfang der Zusammenarbeit möglich“, hofft die schulpolitische Sprecherin Franziska Müller-Rech.

Ali Toprak, CDU-Politiker und Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschlands (KGD), ist entsetzt: „Es ist empörend, dass NRW die Verantwortung für den Religionsunterricht in die Türkei delegiert und die Zukunft von Kindern und Jugendlichen in die Hände des Erdogan-Regimes gelegt werden soll.“ Werde die Entscheidung für die Ditib nicht revidiert, müsse ein Boykott des Islamunterrichts in Erwägung gezogen werden.

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Vor der Kommission hatte die Landesregierung in den vergangenen Jahren einen Beirat für die Gestaltung des Islamischen Religionsunterrichtes bestellt. Der Münsteraner Theologe Mouhanad Khorchide ist das einzige Mitglied dieses Beirats, der auch jetzt in der Kommission vertreten ist.

Er erinnert sich an anfänglich zähe Diskussionen um die Frage, wie religiös die Lehrenden sein mussten, die sich beim Beirat um die Idschaza, die Lehrerlaubnis, bewarben und an das Unbehagen mancher Lehrerinnen und Lehrern, die zuvor teils viele Jahre Islamkunde unterrichtet hatten, „weil sie sich bei ihren Auftritten vor dem Beirat einer Gesinnungsprüfung unterzogen fühlten“.

Khorchide wünscht sich europäisch geprägten Islam

Khorchide, der die „Malikitische Gemeinde Deutschland“ vertritt, wünscht sich von der Kommission, dass sie „Wert darauflegt, dass Lehrende einen europäisch geprägten Islam reflektieren. Es muss um Aufklärung sowie um eine islamisch-europäische Identität gehen“. Es sei bedauerlich, so Khorchide, „dass in der Kommission der konservative Islam viel stärker vertreten ist und ich hoffe, dass wir nicht die alten Diskussionen wieder führen müssen“.

Aber er sehe vor allem die Chance, dass die Verbände durch die Arbeit in der Kommission begännen, sich selbst zu verändern und sich aus den Abhängigkeiten beispielsweise zur Türkei zu lösen. Dazu könne auch beitragen, dass das Ministerium allen Beteiligten separate Verträge abgeschlossen habe, die jederzeit wieder aufgekündigt werden können.

Allerdings bedauert es Khorchide, „dass Organisationen wie der Liberal-Islamische Bund nicht dabei sind“. Das sei demoralisierend für diejenigen, die sich in Deutschland aus eigener Kraft organisieren und „nicht die gewaltigen Ressourcen derjenigen haben, die aus der Türkei oder anderen Ländern finanziert werden“, so Khorchide.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, hat eine klare Forderung an die Kommission – insbesondere vor dem Hintergrund der antisemitischen Vorfälle auf einigen pro-palästinensischen Demonstrationen in den vergangenen Tagen: „Ich erwarte, dass sowohl Kenntnisse über das Judentum als auch die Aufklärung über antisemitische Stereotype in angemessener Form in den Unterricht einfließen. Fakten und keine Verschwörungsmythen sind zu vermitteln“, sagte sie unserer Redaktion.

CDU fordert Distanzierung von Erdogan und Hamas

Eben solche antisemitischen Klischees hatten der türkische Präsident Erdogan und Diyanat-Präsident Ali Erbas nach der Eskalation im Nahost-Konflikt verbreitet. Die Israelis seien „Mörder, sie töten Kinder, die fünf oder sechs Jahre alt sind. Sie sind erst zufrieden, wenn sie ihr Blut aussaugen“, tönte Erdogan. Erbas nannte Israel einen „Terror-Staat“ und bediente ebenfalls das antisemitische Bild der Juden als „Baby-Mörder“.

Da Ditib immer auch für Inhalte stehe, die der türkische Staat vorgebe, müsse nun „eindeutig geklärt werden, wie sich Ditib zu den antisemitischen Aussagen des türkischen Staatspräsidenten oder zur Terror-Organisation Hamas verhält, die bekanntlich von der Türkei unterstützt wird“, fordert der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Daniel Sieveke.

Der Essener Politikwissenschaftler und Türkeiforscher Burak Copur ist überzeugt davon, dass sich das Schulministerium von Ditib vorführen lässt: „Aufgrund kosmetischer Satzungsänderungen davon auszugehen, dass Ditib nicht länger der verlängerte Arm des Erdogan-Regimes ist, ist nahezu grotesk.“ Erdogan, warnt Copur, „wird mit am Tisch sitzen und die Bildungspolitik in NRW mitbestimmen“.

Sowohl Ditib als auch die IRG NRW antworteten bis Redaktionsschluss nicht auf Anfragen dieser Redaktion.