Berlin. Hunderttausende Frauen aus Osteuropa arbeiten bei uns in der häuslichen Pflege – ihr Job ist unsicher, die Pandemie trifft sie hart.
Der Applaus im Frühjahr vergangenen Jahres schien anderen zu gelten. Als in den ersten Monaten der Pandemie Pflegekräfte deutschlandweit beklatscht wurden, richtete sich der Beifall vor allem an das überlastete Personal in Krankenhäusern und Seniorenwohnheimen. Dass sich in der Pandemie auch Hunderttausende, überwiegend aus Osteuropa stammende Frauen um ältere Menschen kümmern, die in Deutschland zu Hause gepflegt werden, blieb weitgehend unbeachtet. Lesen Sie hier: Corona-Krise verstärkt Spaltung zwischen Arm und Reich
Dabei müssten auch diese Frauen als Corona-Heldinnen gelten – mit dem Unterschied, dass ihre Bezahlung viel schlechter, ihre Arbeitszeit viel länger und Kündigungsschutz fast gar nicht vorhanden ist. So gesehen müsste man beim Applaudieren Gewissensbisse bekommen.
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24-Stunden-Pflege: Ruhezeiten gibt es nur auf dem Papier
Wer im Internet sucht, landet schnell auf Seiten von Anbietern sogenannter 24-Stunden-Pflege. Geworben wird mit Betreuungsservice rund um die Uhr zu erschwinglichen Preisen. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszumalen, wie die Arbeitsbedingungen dieser Pflegekräfte aussehen. Wie viele es in Deutschland genau sind, ist nicht klar. Schätzungen schwanken zwischen 100.000 und mehreren Hunderttausenden. Auch interessant: Corona-Vakzine: Wie Impfdrängler Ärzte unter Druck setzen
Agnieszka Misiuk kennt viele Fälle solcher Frauen. Die Polin arbeitet für die Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbunds, die sich um sogenannte Live-Ins kümmert. Das ist der etwas beschönigende Fachausdruck für Frauen aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn oder Polen, die bei den Pflegebedürftigen wohnen und arbeiten – und damit stets in Reichweite sind. Für rund 1500 Euro netto im Monat. Geregelte Ruhezeiten oder Pausen gibt es allenfalls auf dem Papier.
Sie gelten offiziell nicht als Pflegerinnen, sondern als Betreuungspersonen
In den Verträgen sei zwar oft eine Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche festgeschrieben, „den deutschen Familien wird aber versprochen, dass immer jemand verfügbar ist“, erklärt Misiuk. Bereitschaftszeiten gälten als Freizeit, dabei seien sie nach deutschem Recht Arbeitszeit. „Letztlich müssen die Betreuerinnen immer da sein. Sie können die Pflegebedürftigen ja nicht alleine lassen“, sagt Misiuk.
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Die Vermittlung der häuslichen Pflegerinnen findet meist über ein verschachteltes System von deutschen und ausländischen Agenturen statt. Hierzulande aktiv sind knapp 700 Agenturen, wie das Bundesgesundheitsministerium unlängst auf eine parlamentarische Anfrage der Linken mitteilte. Das sind doppelt so viele wie 2014. Die Nachfrage steigt.
Eine gesonderte Prüfung oder Zulassung benötigen die Agenturen in der Regel nicht. Denn offiziell gelten die zumeist ungelernten Kräfte nicht als Pflegerinnen, sondern als Betreuungspersonen, auch wenn sie in der Praxis Pflegearbeit leisten. Sie helfen beim Aufstehen, Waschen, Anziehen, Essen und Zu-Bett-Gehen.
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Vermittlungsagenturen schüchtern die Frauen ein
Um Verstöße gegen die Arbeitszeit zu beweisen, müssten die Frauen nachweisen, dass sie wie abhängig Beschäftigte arbeiteten und nicht wie Selbstständige, sagt Misiuk, „wir bewegen uns hier in einer rechtlichen Grauzone“. Die Mehrzahl der Frauen scheue aber davor zurück, vor Gericht zu ziehen. „Viele halten durch, weil sie sagen, sie brauchen unbedingt die Arbeit.“
Zudem gibt es Einschüchterungsversuche. Es werde von schwarzen Listen der Vermittlungsagenturen berichtet, auf denen die Namen von Frauen stünden, „bei denen es Probleme gab und die deshalb nicht mehr vermittelt werden“, sagt Misiuk. Viele Frauen hätten Angst, keinen Job mehr zu bekommen.
Wer sich beschwert, landet auf der schwarzen Liste
Eine Ursache für die Missstände sieht Misiuk im deutschen Pflegesystem. Viele Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen hätten keine Alternative. Für einen Platz im Pflegeheim reiche oft das Geld nicht, „die Betreuerinnen aus dem Ausland bleiben die einzige Möglichkeit“. Ein Problem sei auch, dass die Arbeit der Live-Ins in Deutschland keine Wertschätzung erfahre. Die Erwartung sei, „dass eine Betreuungskraft kommt, die rund um die Uhr verfügbar ist und im Idealfall keine Ansprüche stellt“.
Aber so gehe das nicht, es müsse sich etwas ändern. „Diese Frauen sind unter dem Radar. Es sind Frauen, die ausgebeutet werden“, kritisiert Misiuk, „dabei bilden diese Frauen die dritte Säule im Pflegesystem. Ohne diese Frauen würde es nicht funktionieren.“ Linke-Politikerin Pia Zimmermann sieht es ähnlich: „Wir können die große Zahl an Frauen aus Osteuropa nicht weiter in den teilweise unerträglichen Zuständen belassen.“ Der großen Koalition wirft sie Untätigkeit vor. Die Frauen badeten die verfehlte Pflegepolitik der Bundesregierung aus.
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Corona-Pandemie: Lage in der Pflege ist äußerst prekär
Die Pandemie hat an den Arbeitsbedingungen der Osteuropäerinnen kaum etwas verbessert – anders als bei den Leiharbeitern in der Fleischindustrie. Die Lage in der häuslichen Pflege ist weiterhin äußerst prekär. Als zu Beginn der Corona-Krise die Grenzen geschlossen wurden, konnten viele nicht in ihre Heimatländer zurück. Beim Corona-Bonus in Höhe von bis zu 1500 Euro, den viele Pflegekräfte erhielten, blieben Live-Ins außen vor. Und wie viele als direkte Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen inzwischen geimpft sind, ist unklar.
Zugleich kann eine Corona-Infektion die Frauen den Job kosten. Misiuk erzählt vom Fall einer Betreuerin. Sie und die ältere Frau, um sich die Pflegerin kümmerte, wurden positiv auf das Virus getestet. Als die Agentur von der Infektion erfuhr, habe sie der Betreuerin fristlos gekündigt – mit der Begründung, sie habe bei der Arbeit keine Maske getragen. Gegen die Entlassung vorgehen wollte die Frau nicht – aus Angst, auf der schwarzen Liste zu landen.
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