Berlin/Karlsruhe. Über 200 Verfahren sind beim Bundesverfassungsgericht bereits eingegangen. So könnte es mit der Bundes-Notbremse jetzt weitergehen.
- Die vom Bundestag und Bundesrat vergangene Woche beschlossene Notbremse sorgt weiter für Kritik
- Beim Verfassungsgericht in Karlsruhe sind zahlreiche Beschwerden eingegangen
- Könnten die Richter die Notbremse wieder kassieren?
Beim Bundesverfassungsgericht im Karlsruher Schlossbezirk laufen gerade die Postfächer voll. Über 200 Verfahren gegen die Bundesnotbremse sind dort bisher eingegangen. Zu den Beschwerdeführern zählen Rechtsanwälte, die Gesellschaft für Freiheitsrechte, aber auch Politiker verschiedener Parteien, darunter alle 80 Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion.
Am schnellsten war ein Rechtsanwalt aus München: Er legte per Eilantrag Beschwerde ein, noch bevor die Reform des Infektionsschutzgesetzes durch den Bundesrat war.
Kritik vor allem an Ausgangsbeschränkung
Bei den Verfahren handelt es sich um Verfassungsbeschwerden sowie Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die meisten richten sich gegen die im Gesetz neu verankerten Ausgangsbeschränkungen von 22.00 bis 5.00 Uhr in Städten und Kreisen, in denen binnen einer Woche eine Inzidenz von 100 oder mehr Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern festgestellt wurde.
Aber auch die Kontaktbeschränkungen sind Teil der Kritik. Sie sehen vor, dass sich ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 ein Haushalt nur noch mit einer weiteren Person treffen darf. Ein kleiner Teil der eingereichten Verfahren lehnt sämtliche Regelungen des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes ab.
Entscheidungstermin steht noch nicht fest
Nun schauen alle gespannt nach Karlsruhe. Ein konkreter Entscheidungstermin sei noch nicht absehbar, sagte ein Sprecher. Die Dauer eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt lediglich eine Drei-Monats-Frist, die festlegt, dass spätestens drei Monate nach der mündlichen Verhandlung das Urteil verkündet werden soll. Allerdings wird diese Frist gerade bei komplexen Verfahren oft überschritten.
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Deshalb werden gegen die Bundesnotbremse viele Eilanträge eingereicht. Diese zielen darauf ab, das Gesetz vorläufig auszusetzen, bis eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Darüber muss demnächst der Erste Senat entscheiden, aber auch hier gibt es noch keinen Termin. Präsident ist der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth.
Notbremse könnte bald in Teilen ausgesetzt werden
Josef Franz Lindner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg, sieht gute Erfolgschancen für die Beschwerden. „Maßnahmen wie die Ausgangssperre, die auf einer fragwürdigen Inzidenzzahl basiert und keine Ausnahmeregelung für geimpfte oder genesene Personen beinhaltet, sind klar unverhältnismäßig und eine eklatante Verletzung der Grundrechte", sagte Lindner dieser Redaktion. Lesen Sie hier: Lockdown: Haben Baumärkte und Gartencenter weiter geöffnet?
„Ich glaube nicht, dass das Gericht das so einfach durchwinkt.“ Er warnt auch vor einem Dauerlockdown: „Der Staat kann nicht einfach sagen: Wir lassen alles dicht, bis alle geimpft sind. Das ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Zumal es ein Jahr dauern könnte.“
Erfolgsaussichten der Notbremse könnten geprüft werden
Lindner geht davon aus, dass die Karlsruher Richter bereits in den nächsten zwei, drei Wochen darüber entscheiden, ob die Bundes-Notbremse in Teilen ausgesetzt wird. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Im ersten Fall nehmen die Verfassungsrichter eine Folgeabschätzung vor.
Geprüft wird in diesem Schritt nicht, ob das Gesetz verfassungskonform ist, sondern welche Entscheidung gravierendere Folgen hat: Wenn das Gesetz oder Teile davon vorläufig ausgesetzt werden, es aber am Ende als verfassungskonform bestätigt wird (und sich in der Zwischenzeit das Infektionsgeschehen zuspitzt) oder wenn das Gesetz in Kraft bleibt, obwohl es sich am Ende als verfassungswidrig herausstellt.
Eine andere Möglichkeit ist eine Prüfung der Erfolgsaussichten: Kommen die Richter zum Schluss, dass das Gesetz oder Teile davon ziemlich sicher offensichtlich verfassungswidrig sind, können sie es aussetzen und dem Gesetzgeber auftragen, nachzubessern. Lehnt das Bundesverfassungsgericht die Beschwerden ab, sieht Lindner schwarz für die Kritiker der Bundes-Notbremse: „Dann bliebe nur noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.“ Mehr zum Thema: RKI-Präsident Wieler bekräftigt Kritik an Notbremse
Ausgangsbeschränkung kann auch ohne Notbremse weiter bestehen
Selbst ein Aussetzen der Bundes-Notbremse würde allerdings nicht automatisch dazu führen, dass überall keine Ausgangssperren mehr gelten. Denn in den Bundesländern blieben die Maßnahmen der dortigen Regierungen zunächst weiter in Kraft bleiben. So hatte zum Beispiel Bayern schon vor dem Bundeslockdown Ausgangsbeschränkungen eingeführt, was jetzt zu einer kuriosen Situation führte.
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Der Chef der dort mitregierenden Freien Wähler, Hubert Aiwanger, hat ebenfalls in Karlsruhe Beschwerde gegen die Bundes-Notbremse eingelegt. Die Ausgangsbeschränkungen seien „zu pauschal, zu undifferenziert, zu radikal“, sagte er. In Bayern hatte er sie als stellvertretender Ministerpräsident mitbeschlossen.