Berlin. Bei der Trauerfeier für die bislang 80.000 Corona-Opfer berichten Angehörige über ihr Leid. Der Bundespräsident verteidigt die Politik.
Es sind eindringliche Momente der Trauer. In denen leise Worte der Wut, der Verbitterung und der Versöhnung ausgesprochen werden. Anita Schedel hat ihren Mann an Corona verloren. Esrin Korff-Avunc und Finja Wilkens ihre Väter, Detlev Jacobs seine betagte Mutter. Als diese Hinterbliebenen im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt am Sonntag ihre Stimmen erheben, schließt Kanzlerin Angela Merkel manchmal die Augen, werden die des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier feucht.
Anita Schedel aus Passau erzählt bei der nationalen Gedenkfeier für die bislang rund 80.000 deutschen Corona-Toten gefasst, aber bewegend vom Schicksal ihres Mannes Hannes. Ein Klinikchef, 59, der mit Leidenschaft für Mitarbeiter und Patienten da ist. Im April 2020 erwischt ihn das Virus selbst. „Er hat mich noch angerufen und gesagt: ‚Ich werde jetzt ins künstliche Koma versetzt. Mach dir keine Sorgen, ich bin in besten Händen. Wir sehen uns bald wieder.‘“ Es ist das letzte Gespräch. Unmittelbar vor dem Ende darf sie ihn noch einmal kurz sehen. Bis heute begleiten sie die Bilder vom letzten Gang über einen einsamen Krankenhausflur, die piepsenden und blinkenden Apparaturen, die den geliebten Menschen nicht retten konnten.
Die Witwe appelliert an alle, sich an die Corona-Regeln zu halten, die dritte Welle mit wieder Hunderten Toten täglich nicht zu locker zu nehmen: „Halten Sie durch!“ Dann stellt Schedel gemeinsam mit Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eine von zehn Kerzen in Windlichtern in der Mitte des abgedunkelten Konzerthauses auf. In einem bunten Meer aus Blumen sollen sie ein Zeichen der Hoffnung setzen.
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Tod von Covid-Patienten: Angehörige sprechen über ihre Trauer
Auch Michaela Mengel aus Essen stellt eine Kerze auf. Sie sprach bereits im Frühjahr per Video mit Steinmeier über den jähen Tod ihrer Tochter Annalena (23). „Sterben in der Pandemie, das war und das ist oft ein Sterben ohne Beistand und Abschied.“ Viele hätten „ohne ein letztes zärtliches Wort, einen letzten liebevollen Blick, einen letzten Händedruck“ gehen müssen. „Das zu wissen, zerreißt uns das Herz. Es macht uns unendlich traurig“, sagt Steinmeier.
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Mehr als 1000 Bürger haben seit Ausbruch der Pandemie ans Schloss Bellevue geschrieben, um dem Staatsoberhaupt ihre Gefühle mitzuteilen. „Sie haben mir von ihrer Verzweiflung berichtet. Ich weiß, dass einige sich unendlich quälen, weil sie sterbenden Angehörigen auf dem letzten Weg nicht beistehen konnten; dass sie sich sogar vorwerfen, ihre Liebsten im Stich gelassen zu haben.“ Es gebe keine Worte für diesen Schmerz. „Aber wir hören ihre Klage. Wir verstehen ihre Bitterkeit“, sagt Steinmeier.
Auch dieses Echo – verstärkt von Treffen mit Angehörigen und Corona-Genesen mit Langzeitfolgen – bewegte den Bundespräsidenten dazu, am 18. April einen staatlichen Trauerakt mit den Spitzen der fünf Verfassungsorgane auszurichten. Ob daraus ein wiederkehrendes Gedenken, vielleicht ein bundesweiter Feiertag wird, ist offen.
Corona-Sterben ist zur Routine geworden
Der Staat war im Umgang mit Opfern nationaler Tragödien nicht immer sensibel. Hinterbliebene der 2016 beim islamistischen Weihnachtsmarkt-Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz zwölf Getöteten fühlten sich alleingelassen. Nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau reagierte der Staat schneller, Steinmeier und Merkel waren nur zwei Wochen nach der Tat bei einer Trauerfeier. Anders als bei einem Terrorakt ist das Corona-Sterben zu einer Art Routine geworden.
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Todes- und Infektionszahlen werden in täglichen Länder-Ranglisten auf- und verbreitet, die Katastrophe scheint in der Anonymität der Zahlen besser verkraftbar zu sein. „Wir sind ermüdet von der Last der Pandemie, und wundgerieben im Streit um den richtigen Weg“, meint Steinmeier.
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Steinmeier verteidigt die Corona-Politik
Aus Sorge vor Protesten gegen die Corona-Trauer sind Polizeikräfte am Gendarmenmarkt postiert. In der Politik haben sich Bund und Länder bei der Suche nach den Rezepten überworfen. Merkels geplante Bundesnotbremse könnte im Parlament zerfleddert oder von Gerichten gestoppt werden.
Steinmeier greift in seiner Rede die Kritik vieler Bürger auf, ob der Staat „zu viel Freiheit genommen“ habe, und stellte sich hinter Kanzlerin und Regierungschefs der Länder. „Wir haben Menschen Einsamkeit zugemutet, um andere vor Krankheit oder Tod zu schützen. Wir haben unser Leben einschränken müssen, um Leben zu retten. Das ist ein Konflikt, aus dem es keinen widerspruchsfreien Ausweg gibt.“
Die Politiker hätten „schwierige, manchmal tragische Entscheidungen“ treffen müssen, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern. Und er kündigt an: „Wo es Fehler oder Versäumnisse gab, da müssen und werden wir das aufarbeiten. Aber nicht an diesem Tag. Nicht heute“, mahnt der Bundespräsident. Wichtig sei, dass die Pandemie die Gesellschaft nicht noch weiter auseinandertreibe. Hoffnung machten die Impfstoffe: „Wir werden von dieser Pandemiezeit gezeichnet sein, aber auch an ihr wachsen.“
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