Berlin. In der Debatte um den umstrittenen Astrazeneca-Impfstoff meint eine PR-Expertin: Unsere Form der Kommunikation ist für Krisen nicht geeignet.

Impfen oder nicht impfen? Die Antwort war für die meisten bis dato wohl klar: Manche lehnen es grundlegend ab, die meisten aber lassen es machen, frei nach dem Credo: Impfen schützt mehr, als dass es schadet.

In der öffentlichen Debatte um den Corona-Impfstoff von Astrazeneca ist derzeit häufig von Angst die Rede. Im Vordergrund stehen seit Monaten mögliche aber sehr seltene Nebenwirkungen in Form von Hirnvenenthrombosen. Seit Jüngstem wird der Impfstoff in Deutschland nur noch an Menschen über 60 Jahre verimpft. Selbst in Großbritannien, wo man sich trotz der Berichte über Risiken lange unbeirrt zeigte, hat die dortige Impfkommission jüngst empfohlen, Astrazeneca nur noch an Erwachsene über 30 Jahre zu verabreichen.

Diskurs um Astrazeneca zeigt Grenzen der medialen Vermittlung

Viele bei uns sind angesichts der Lage verunsichert und lehnen den Impfstoff ab. Das liegt auch am sogenannten Informations-Paradox, glaubt die Kommunikations-Expertin Alexandra Groß. Wer im Dilemma steckt, für sich Nutzen und Risiko einer Corona-Impfung gegenüber dem Risiko einer Corona-Erkrankung abwägen zu müssen, sollte sich dies bei der Meinungsbildung bewusst machen.

„Man sieht derzeit ganz gut, dass unsere heutige Form der Kommunikation für Krisen nicht geeignet ist“, sagt Groß, stellvertretende Präsidentin des Verbands der führenden PR- und Kommunikationsberatungen in Deutschland (GPRA). „Die Informationsweitergabe, zum Beispiel die Berichterstattung und die Art der Informationsrezeption – möglichst schnell und kurz – können so eine komplexe Krisensituation nicht gut beschreiben“, glaubt Groß. (Textlink)

Zu komplex für eine schnelle Schlagzeilen und kurze Tweets

„Alles ist eine Schlagzeile, wir sind permanent per Smartphone an den aktuellen Informationen und Wendungen dran und alles, was an Informationen kommt, steht gleichwertig nebeneinander“, beobachtet Groß. Zudem bekomme man in der Pandemie „jede Bewegung mit“, denn “jeder hat eine Meinung dazu und teilt sie mit seiner Filterblase in den sozialen Medien“, sagt Groß. Ihr Urteil: „Komplexe medizinische Zusammenhänge etwa zur Abwägung von Risiko und Nutzen eines Impfstoffs lassen sich nicht über eine schnelle Schlagzeile oder einen Tweet transportieren.“

Das Paradoxe an der Situation: „Wir wollen schnell alle Informationen, doch sobald wir sie haben, treibt uns das in eine große Verunsicherung. Dabei soll uns die Informationssuche doch eigentlich die Entscheidungsfindung erleichtern“, sagt Groß. Hinzu kommt: „Ziemlich viele Menschen beobachten gerade die Sammlung und Auswertung von Daten zu Arzneimitteln in Echtzeit. Das ist neu und läuft unter normalen Umständen eher im Hintergrund ab“, sagt Groß. Unter diesen Bedingungen zu entscheiden, ob man sich mit Astrazeneca impfen lässt oder nicht, sei als Laie jedoch kaum möglich, meint sie.

Es gibt nicht nur negative Aspekte

Was könnte helfen? Laut Groß brauchen wir ein „ausgewogenes Grundrauschen in der Berichterstattung.“ Berücksichtigen sollte man dabei auch, dass der Impfstoff von den Behörden nach ausführlicher Prüfung regulär zugelassen wurde, einen großen Nutzen und eine nachgewiesen hohe Wirkung gegen Covid-19 habe, er im Vergleich zu den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna gut zu lagern und zu verimpfen sei und zudem zum Selbstkostenpreis durch Astrazeneca vertrieben werde, meint Groß.

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Als betroffenes Unternehmen habe es Astrazeneca derzeit im übrigen selbst „nicht in der Hand, eine positive Botschaft zu verbreiten – weil viele andere die Kommunikation übernehmen“, meint Groß, die auch Vorstand einer Berliner Kommunikations-Agentur ist und unter anderem verschieden Bundesbehörden berät, aktuell aber kein Pharma-Unternehmen, betont Groß.

Es brauche „Fürsprecher“, die um Vertrauen in den Impfstoff werben - bei aller Berücksichtigung möglicher Nebenwirkungen, sagt sie. Das kann das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Berlin sein, die in Deutschland für die Zulassung von Medikamenten zuständige Behörde. Auch Prominente könnten helfen, Vertrauen zurückzugewinnen, meint Groß. So hat der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sich jüngst, in seiner Funktion als Impfarzt im Impfzentrum in Leverkusen, mit Astrazeneca impfen lassen und dies öffentlichkeitswirksam auf seinem Twitter-Kanal verbreitet.

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Es kommt auch auf den Blickwinkel an

Behörden wie das Paul-Ehrlich-Institut oder die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut, auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) haben in den vergangenen Wochen jedoch mit zur Verunsicherung beigetragen. Erst sollte Astrazeneca nicht an die Ü65-Gruppe verimpft werden, dann war es ein paar Wochen frei für alle und jetzt ist Astrazeneca nur für Über-60-Jährige empfohlen.

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Groß glaubt aber, dass der negative Ruf des Astrazeneca-Impfstoffs sich „langfristig auflösen“ lasse – „wenn es gelingt, den Fokus auf das Verhältnis von Nutzen und Risiko des Impfstoffs zu werfen“, sagt sie. Dass der Impfstoff jetzt den Handelsnamen „Vaxzevria“ trägt, wie das Unternehmen Ende März bekannt machte, ist kein ‘PR-Trick’, sondern übliches Vorgehen bei der Neueinführung von Medikamenten, meint Groß. Der Unterschied in der aktuellen Pandemie sei nur, „dass das jetzt in aller Öffentlichkeit geschieht“, während der betreffende Impfstoff bereits seit mehreren Monaten millionenfach verimpft wurde. Auch der Impfstoff von Biontech/Pfizer übrigens hat inzwischen einen eigenen Handelsnamen: „Comirnaty“.

Es komme wohl auch immer darauf an, aus welchem Blickwinkel man sich mit dem Thema beschäftige, glaubt die Kommunikations-Expertin und Vorstandschefin einer PR-Agentur, die selbst betont, derzeit kein Pharmaunternehmen im Corona-Umfeld zu ihren Kunden zu zählen: „In Deutschland betrachten wir den Diskurs um den Astrazeneca-Impfstoff von der Risiko-Seite aus, in Großbritannien etwa, wo der Impfstoff an der Universität Oxford entwickelt wurde, wird die Debatte von der Nutzen-Seite her geführt.“

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