Washington. Wenn der neue US-Präsident außenpolitisch Erfolg haben will, braucht er die EU. Doch vor allem in der China-Politik droht Streit.

Schon 2009 war Joe Biden nicht zu beneiden, als er in München auftrat, um der Weltgemeinschaft neues Vertrauen in Amerika einzureden. Die Kriege im Irak und in Afghanistan liefen aus dem Ruder, die Finanzkrise schob die Welt an den Abgrund. Als Obamas Vizepräsident fiel ihm die Aufgabe zu, die in den Bush-Jahren verprellten Verbündeten wieder aufzurichten und einen Neustart der transatlantischen Beziehungen zu inszenieren.

Er versprach mit Demut im Ton neues Engagement, die Bereitschaft, zuzuhören, Konsultationen auf Augenhöhe; eben einen respektvollen Führungs- und Partnerschaftsstil. Und er forderte mehr Fairness bei der Lastenteilung. Zwölf Jahre später hörte sich vieles im Kern sehr ähnlich an, als Joe Biden, diesmal als die Nr. 1 der USA, die Sicherheitskonferenz und vorher das G 7-Treffen adressierte. Aber die Lage ist grundverschieden. Und die Skepsis auf beiden Seiten größer. Lesen Sie hier: Münchner Rede: Was Joe Biden von Deutschland erwartet

Die Republikaner machen es Biden nicht einfacher

Unser US-Korrespondent Dirk Hautkapp vor dem Weißen Haus in Washington.
Unser US-Korrespondent Dirk Hautkapp vor dem Weißen Haus in Washington. © Privat | Privat

Vier Jahre Trump haben den Problemberg beängstigend wachsen lassen. Von Iran über Nordkorea, Afghanistan und Russland bis nach China reicht die Liste der unerledigten Großbaustellen. Auf keiner kann Amerika bestehen, wenn Joe Biden im Inland nicht beizeiten substanzielle Erfolge gelingen.

Die Aussichten darauf sind vage. Zwar ist der politische Betrieb, was dringend überfällig war, entdramatisiert worden und – siehe Kabinett – erheblich professioneller. Auch darum die ordentlichen Zustimmungsraten für die neue Regierung.

Aber Bidens Versprechen, Gräben zum politischen Gegner zu überwinden, neue Gemeinsamkeiten zu identifizieren und das Gift aus dem nationalen Selbstgespräch zu filtern, findet in einer einem angeschossenen Tier ähnelnden republikanischen Partei seine Grenzen, in der nicht wenige sein Scheitern herbeisehnen. Das macht die Bekämpfung der Corona-Pandemie und die damit verbundene Reparatur der geschundenen Volkswirtschaft – Bidens absolute Top-Prioritäten – nicht einfacher. Auch interessant: Kommentar: Donald Trumps Verletzung des Amtseids ist selten schäbig

Biden ist auf die Europäer angewiesen

Biden muss spätestens bis Sommer nächsten Jahres die Lebenssituation von Millionen Unzufriedenen nachhaltig verbessert haben. Danach läuft Washington für die Zwischenwahlen im Kongress heiß. Nur ein Dutzend Sitzverschiebungen zu Lasten der Demokraten – und Biden wäre in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit ein Mann mit sehr eng begrenztem Aktionsradius.

Aus der Dringlichkeit ergeben sich zwangsläufig höhere Anforderungen an die, die Joe Biden als Alliierte umgarnt – vor allem die Europäer. Natürlich ist es viel wert, wenn man sich wieder mit Anstand und Respekt über Differenzen austauscht. Aber die neue US-Regierung wird sich nicht lange mit einem zivilisierten Miteinander aufhalten. Lesen Sie hier: US-Truppen in Afghanistan: Wichtige Fragen und Antworten

Der Umgang mit China wird zum Knackpunkt

Auch wenn sich die außenpolitischen Tagesordnungen im Detail noch sortieren müssen, ist schon heute der Zeitdruck erkennbar, der sich durch Trumps politische Geisterfahrten verstärkt hat. Schon in wenigen Tagen wird sich zeigen, ob die EU und Amerika bei dem Versuch, das Atomabkommen mit dem Iran auf eine neue, tragfähigere Grundlage zu stellen, auf einen zielführenden Nenner kommen. Mittelfristig wird der Umgang mit China zum Knackpunkt.

Biden erwartet zügig Teamarbeit, um die missbräuchliche Handels- und Wirtschaftspolitik des größten geopolitischen Gegenspielers einzuhegen. In Europa, allen voran in Deutschland, will man dagegen vom Wirtschaftsmotor in Fernost künftig noch mehr profitieren. Hier eine akzeptable Schnittmenge zu finden, wird nicht leicht. Sie muss aber gefunden werden. Wenn Biden nur eine Interims-Figur war und 2024 der nächste Neo-Isolationist ins Weiße Haus einziehen sollte, ist es zu spät.