Berlin. Präsident Biden spricht bei der Münchner Sicherheitskonferenz - per Video. Der US-Präsident hofiert die Europäer - und hat Forderungen.

Es ist eine Verbeugung vor Deutschland und Europa – zumindest atmosphärisch. Joe Biden hätte wohl kaum ein passenderes Forum für seine erste Rede als US-Präsident an die Verbündeten finden können. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz ist er seit rund 40 Jahren Stammgast. Erst als Senator, dann als Vizepräsident und am Freitagnachmittag als Chef des Weißen Hauses.

Es ist das erste Mal, dass ein US-Präsident an dem Spitzentreffen teilnimmt – wenn auch nicht persönlich. Biden ist live per Video auf der riesigen Leinwand im Münchner Hotel Bayerischer Hof zugeschaltet. Wegen der Corona-Pandemie wurde das traditionelle dreitägige Schaulaufen der Staats- und Regierungschefs auf ein dreistündiges Digitalformat abgespeckt. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sind mit von der Partie.

Joe Biden bei Münchner Sicherheitskonferenz: Kontrapunkt zu Trump

Biden setzt bewusst einen Kontrapunkt zur „America First“-Politik seines Vorgängers Donald Trump. „Wir werden unsere Bündnisse reparieren und mit der Welt zusammenarbeiten“, versprach er bei seiner Antrittsrede. Und Ende Januar hatte Biden Bundeskanzlerin Angela Merkel versichert, die Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland zu „vertiefen“.

Merkel unterstrich: „Europa wird insgesamt mehr Verantwortung übernehmen müssen, das gilt nicht nur militärisch, sondern das gilt auch im di­plomatischen Bereich und in vielen anderen Dingen.“ Und: „Wir in Deutschland sind dazu bereit, und die Europäische Union ist dazu auch bereit.“ Trotz Bidens Münchner Charmeoffensive hat der Amerikaner konkrete Erwartungen an Deutschland und Europa.

Kommentar: Die Europäer müssen Joe Biden jetzt entgegenkommen

Was Joe Biden jetzt erwartet: Mehr Geld für Verteidigung

Biden pocht wie Trump darauf, dass Nato-Mitglieder zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für das Militär reservieren. Beim Nato-Gipfel 2014 in Wales wurde das als anzustrebende Zielmarke für 2024 beschlossen. Die Bundesregierung hat ihren Verteidigungsetat zwar kräftig aufgestockt – für 2024 sind 1,5 Prozent anvisiert.

Aber die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels ist auch für die kommenden Jahre nicht in Sicht. Der Druck aus Washington, mehr Geld für die Rüstung lockerzumachen, wird zunehmen. Biden wird nicht so massiv auftreten wie Trump, hinter den Kulissen aber deutlich Position beziehen.

Engagement bei Regionalkonflikten

Die USA werden viel Energie auf den Wettbewerb mit China aufwenden. Die Verbündeten werden vermehrt in die Pflicht genommen, sich in wichtigen Regionalkonflikten stärker zu engagieren. Die Europäer sollen zum Beispiel im chronisch instabilen Libyen, in der Terrorregion Sahelzone, in der Ukraine oder im Nahen Osten politisch und im Notfall auch militärisch eingreifen.

Druck auf China

Die Volksrepublik ist die größte geopolitische Herausforderung für Biden. Der rasante wirtschaftliche Aufstieg des Riesenlandes in Fernost, das zunehmend selbstbewusste Auftreten in der internationalen Arena und die militärischen Muskelspiele im Südchinesischen Meer beunruhigen die USA. Vor allem die massive Subventionierung der chinesischen Staatsbetriebe sowie die Abschottung eigener Märkte sind den Amerikanern ein Dorn im Auge.

„Wir müssen keinen Konflikt haben. Aber es wird extremen Wettbewerb geben“, sagte Biden in einem TV-Interview. Das kürzlich verabschiedete Investitionsabkommen zwischen der EU und China stieß in Washington auf Kritik. Den USA wäre ein europäisch-amerikanischer Schulterschluss lieber gewesen, um eine Druckkulisse gegen Peking aufzubauen.

Insbesondere Merkel forcierte den Abschluss des EU-Vertrags mit China. Für sie haben die wirtschaftlichen Beziehungen und der chinesische Absatzmarkt eine überragende Bedeutung. China ist seit Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner. Biden wird künftig Europa und Deutschland zu einem gemeinsamen Auftritt gegen China auffordern. Klare Kante bei Menschenrechtsverstößen wie in Hongkong oder Wettbewerbsverzerrung: Amerika wird sich mit europäischer Puderzucker-Diplomatie nicht mehr zufriedengeben.

Klare Kante gegen Moskau

Moskaus interventionistische Außenpolitik und das repressive Vorgehen gegen Oppositionspolitiker wie Alexej Nawalny empfindet Biden als Provokation. Er wird politisch und wirtschaftlich einen härteren Kurs gegenüber Moskau einschlagen und Menschenrechtsverstöße offen benennen.

Dies erwartet er auch von seinen transatlantischen Partnern. Das Erdgas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland dürfte zum ersten außenpolitischen Konfliktpunkt mit Berlin werden. Biden hat das Vorhaben als „schlechten Deal“ kritisiert. Angesichts des hohen Anteils russischer Lieferungen am gesamten Gas-Import mache sich die Bundesregierung politisch erpressbar, lautet der Vorwurf.

Merkel lehnt einen Stopp des fast fertigen Vorhabens bislang ab. Die Frage ist, wie nachdrücklich Biden auf einen Baustopp der fast fertigen Pipeline pochen wird. Die Bundesregierung hofft, dass man den amerikanischen Präsidenten mit einem Kompromiss besänftigen kann. So gibt es die Überlegung, einen Ukraine-Hebel bei Nord Stream 2 anzubringen. Der Plan: Sollte Russland die Gaslieferungen durch die Pipelines in der Ukraine kappen, könnte Deutschland auch bei Nord Stream 2 den Betrieb unterbrechen. Moskaus Drohpotenzial sei damit neutralisiert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm via Video an der Münchner Sicherheitskonferenz teil.
Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm via Video an der Münchner Sicherheitskonferenz teil. © Guido Bergmann/Bundesregierung via Getty Images | Guido Bergmann/Bundesregierung via Getty Images

Vermittlung im Atomstreit

Neuerdings reichen die USA dem Mullah-Regime den Olivenzweig. Washington ist zu einem Treffen mit allen Unterzeichnerstaaten des Nuklearvertrags von 2015 bereit. Eine radikale Abkehr von Trumps Politik des „maximalen Drucks“. Die EU soll zu dem Gespräch einladen, hat also eine Art Moderatorenrolle. Ferner wollen die USA die Restriktionen der Bewegungsfreiheit von bei den UN tätigen iranischen Diplomaten lockern. Derzeit sind die Fronten aber noch festgefahren.

Biden verlangt, dass der Iran zunächst voll zum Nuklearabkommen zurückkehrt. Teheran will, dass die Amerikaner ihre Sanktionen aufheben. Die Sache wird noch komplizierter, weil Biden das alte Nuklearabkommen nur als Sprungbrett für einen neuen Vertrag benutzen will. Darin soll der Iran auch zu einer Begrenzung seines Raketenprogramms und zur Reduzierung seiner Aktivitäten etwa in Syrien verpflichtet werden. Ob diese diplomatische Quadratur des Kreises gelingt, hängt sehr vom Verhandlungsgeschick der Europäer ab.