Washington. Donald Trump ist wieder mal davongekommen. Das liegt auch am moralischen Bankrott der Republikaner, sagt Kommentator Dirk Hautkapp.

Donald Trump wollte einen durch seine ureigene Agitation groß und rasend gewordenen Mob als Brechstange gegen das Staatsgefüge einsetzen und sich so trotz lupenrein zustande gekommener Wahlniederlage an der Macht halten. Und fast wäre es ihm gelungen. Wie knapp Amerika am „1/6“ - ein Datum, das sich wie der Terror von „9/11” ins kollektive Bewusstsein eingraben wird - am Kapitol in Washington an einer Katastrophe mit noch mehr Toten vorbeigeschrammt ist, wird in den nächsten Monaten eine quälende Rekonstruktion zeigen. Dabei werden sich Abgründe der Niedertracht auftun.

Dass der alleinige Urheber dieses nur durch glückliche Umstände gescheiterten Coup-Versuchs dafür nicht die ganze Härte des parlamentarischen Sanktionskasten zu spüren bekommen hat, ist Ausdruck eines Systems, in dem die Republikaner von Wächtern zu Totengräbern der Demokratie mutiert sind. Klipp und klar: Der Sturm auf den Kongress wäre nicht passiert, hätte Trump nicht über Monate mit ihrer Duldung die Lüge von der „gestohlenen” Wahl so penetrant wiederholen können. Dadurch fühlten sich militante Anhänger von ihm persönlich zur Attacke aufgerufen und ermächtigt. Dafür nachträglich des Amtes enthoben und auf Lebenszeit für politische Ämter gesperrt zu werden, war das Gebot der Vernunft. Und der politischen Hygenie.

Republikaner hassen Trump aber sprechen ihn trotzdem frei

Dirk Hautkapp vor dem Weißen Haus in Washington.
Dirk Hautkapp vor dem Weißen Haus in Washington. © Privat | Privat

Dass nur sieben von 50 Konservativen mit den Demokraten stimmten, die im Gegensatz zu Trumps fürchterlichen Winkel-Advokaten eine lückenlose Beweiskette aufboten, zeigt die Dimension des moralischen Bankrotts einer Partei, die sich heute zu wesentlichen Teilen Schlägertrupps der rechtsradikalen „Proud Boys” mehr verpflichtet fühlt als Urahn Abraham Lincoln.

Das Absurde dabei: Wäre geheim abgestimmt worden, wäre Trump längst Geschichte. Die Mehrheit hasst ihn, erstarrt aber ihn Angst davor, dass Mr. Rachsucht sie zu politischen Paria stempeln kann. Darum verschanzte man sich hinter einer Formalie: Trump war seit 20. Januar nicht mehr Präsident. Warum ihn dann noch des Amtes entheben? Nach der Abstimmung im Senat darf man trotz dezenter Absetzbewegungen nicht wirklich auf Selbstheilungskräfte vertrauen. Die Republikaner haben schon beim Verhindern beziehungsweise Einhegen des Radikal-Populisten total versagt. Bis auf wenige Ausnahmen, die nicht laut genug dafür gepriesen werden können, haben sie sich in der Trumpschen Geiselhaft eingerichtet.

Der Trumpsche Mob ist obenauf

Karrieristische Raubkopierer wie die Senatoren Josh Hawley, Tom Cotton oder Ted Cruz eifern dem Demagogen sogar unverhohlen nach. Auch darum ist der Trumpsche Mob obenauf. Die anti-demokratischen Kräfte sind nach ihrem Attentat auf die gute Stube der amerikanischen Demokratie angefixt, sie wollen mehr. Aber ohne die rückstandslose Ausbootung Trumps und die Aussonderung sämtlicher Extremisten, man kann auch von Inlandsterroristen sprechen, kann die „Grand Old Party” nicht gesunden. Sie bleibt ein Umschlagplatz für Hass, Verschwörungs-Kulte und todbringende Lügen.

Zur Entgiftung der Gesellschaft und Parteien-Landschaft kann ironischerweise im Moment nur einer wirksam beitragen: Joe Biden. Wenn dem neuen Präsidenten echter Fortschritt gelingt bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, der ökonomischen Misere und auf den Dauerbaustellen soziale Ungleichheit und Rassismus, besteht die Hoffnung, dass der noch erreichbare Teil der 74 Millionen Trump-Wähler begreift, welchem Scharlatan man aufgesessen ist. Man muss Biden Glück wünschen.